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InsO, SGB IV: Aufschlüsselung der Forderung nach Arbeitnehmern

Beschluss vom 11.06.2015, Az: IX ZB 76/13

Eine Aufschlüsselung der Forderung nach Arbeitnehmern ist bei einem Eröffnungsantrag eines Sozialversicherungsträgers zur Darlegung und Glaubhaftmachung der Forderung entbehrlich, wenn von dem Schuldner gefertigte Datensätze (sogenannte softcopys) vorgelegt werden (Aufgabe von BGH, Beschluss vom 5. Februar 2004 – IX ZB 29/03 , WM 2004, 1686).

Abtretung von Ansprüchen an die KV nach Verfahrenseröffnung

Anliegend wieder eine bedeutsame höchstrichterliche Entscheidung zur Arztinsolvenz;

Hat der Schuldner Forderungen auf Vergütung gegen die kassenärztliche Vereinigung abgetreten oder verpfändet, so ist eine solche Verfügung unwirksam, soweit sie sich auf Ansprüche bezieht, die auf nach
Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachten ärztlichen Leistungen
beruhen.

Vorschriften:
InsO § 91 Abs. 1, InsO § 114, SGB V § 85

Gericht:
BGH

Urteil vom:
11.05.2006

Aktenzeichen:
IX ZR 247/03

Rechtsgebiete:
InsO, SGB V

Eingestellt am:
04.07.2006

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Hat der Schuldner Forderungen auf Vergütung gegen die kassenärztliche Vereinigung abgetreten oder verpfändet, so ist eine solche Verfügung unwirksam, soweit sie sich auf Ansprüche bezieht, die auf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachten ärztlichen Leistungen beruhen.
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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

IX ZR 247/03

Verkündet am:
11. Mai 2006

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. Mai 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gero Fischer, die Richter Vill und Cierniak, die Richterin Lohmann und den Richter Dr. Detlev Fischer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 31. Oktober 2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen des in eigener Praxis tätigen Zahnarztes Dr. M. (fortan: Schuldner). Dieser hatte der beklagten Bank am 29. September 1975 und am 14. September 1994 alle gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche gegen die für ihn zuständige kassenzahnärztliche Vereinigung (fortan: KZV) sicherheitshalber abgetreten. Das Insolvenzverfahren wurde am 23. Januar 2002 eröffnet. In der Zeit vom 24. Januar 2002 bis zum 20. März 2002 überwies die KZV insgesamt 30.102,26 Euro auf das Konto des Schuldners bei der Beklagten. Der Kläger verlangt Auskehrung dieses Betrages nebst Zinsen; die Beklagte meint, aufgrund der Abtretung in Verbindung mit der Vorschrift des § 114 InsO stehe ihr dieser Betrag zu. Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt (ZVI 2004, 32): Die Ansprüche des Schuldners gegen die KZV seien vor Insolvenzeröffnung wirksam an die Beklagte abgetreten worden. Dies folge aus §§ 50, 51 Nr. 1 InsO. Die Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO, die der Erweiterung der Insolvenzmasse diene, sei weit auszulegen und erfasse auch die hier fraglichen Ansprüche; denn es handele sich um Vergütungen für Dienstleistungen, welche die Existenzgrundlage des Schuldners bildeten.

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Hinsichtlich derjenigen Forderungen des Schuldners gegen die KZV, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, war die Abtretung gemäß § 91 Abs. 1 InsO unwirksam; die Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO ändert daran nichts.

1. Einem Rechtsübergang der Vergütungsansprüche des Schuldners auf die Beklagten nach allgemeinen Regeln steht § 91 Abs. 1 InsO insoweit entgegen, als die zu vergütende ärztliche Leistung bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht erbracht war.

a) Nach § 91 Abs. 1 InsO können nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Rechte an den Gegenständen der Insolvenzmasse nicht wirksam erworben werden, auch wenn keine Verfügung des Schuldners und keine Zwangsvollstreckung für einen Insolvenzgläubiger zugrunde liegt. Im Falle der Abtretung einer künftigen Forderung ist die Verfügung selbst bereits mit Abschluss des Abtretungsvertrages beendet. Der Rechtsübergang erfolgt jedoch erst mit dem Entstehen der Forderung (BGHZ 32, 367, 369; 88, 205, 206 f; BGH, Urt. v. Urt. v. 30. Januar 1997 – IX ZR 89/96, ZIP 1997, 513, 514). Entsteht die im Voraus abgetretene Forderung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, kann der Gläubiger gemäß § 91 Abs. 1 InsO kein Forderungsrecht zu Lasten der Masse mehr erwerben (BGHZ 135, 140, 145 zu § 15 KO; 162, 187, 190; BGH, Urt. v. 5. Januar 1955 – IV ZR 154/54, NJW 1955, 544; v. 20. März 2003 – IX ZR 166/02, ZIP 2003, 808, 809; MünchKomm-InsO/Ganter, vor §§ 49 bis 52 Rn. 23; Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 15 Rn. 44). Nur wenn der Zessionar bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine gesicherte Rechtsposition hinsichtlich der abgetretenen Forderung erlangt hat, ist die Abtretung insolvenzfest. Werden Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen abgetreten, kommt es deshalb darauf an, ob sie bereits mit Abschluss des zugrunde liegenden Vertrages „betagt“, also nur in ihrer Durchsetzbarkeit vom Beginn oder vom Ablauf einer bestimmten Frist abhängig sind, oder ob sie gemäß §§ 163, 158 Abs. 1 BGB erst mit der Inanspruchnahme der jeweiligen Gegenleistung entstehen. Im letztgenannten Fall hat der Abtretungsempfänger keine gesicherte Rechtsposition (BGH, Urt. v. 30. Januar 1997, aaO).

b) Der Kassenarzt erbringt ärztliche Leistungen aufgrund eines Behandlungsvertrages dienstvertraglichen Charakters mit dem jeweiligen Patienten (BGHZ 76, 259, 261; 97, 273, 276; Bamberger/Roth/Fuchs, BGB Vor § 611 Rn. 13; Uhlenbruck, ZVI 2002, 49, 51; Ries, ZInsO 2003, 1079, 1081). Sein Vergütungsanspruch richtet sich zunächst gegen die Krankenkasse, welche gemäß § 85 Abs. 1 SGB V nach Maßgabe des Gesamtvertrages für die gesamte vertragsärztliche Versorgung mit befreiender Wirkung eine Gesamtvergütung an die kassenärztliche Vereinigung entrichtet (vgl. BSGE 66, 284, 285 f). Der einzelne Kassenarzt hat keinen betragsmäßig im Voraus definierten Vergütungsanspruch für seine Leistungen, sondern lediglich Anspruch auf Teilnahme an der Honorarverteilung durch die kassenärztliche Vereinigung (§ 85 Abs. 4 Satz 1 SGB IV; vgl. Quaas/Zuck, Medizinrecht § 20 Rn. 39; Hess, in Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts § 15 Rn. 63). Entgegen Uhlenbruck (ZVI 2002, 49, 52) handelt es sich insoweit nicht um einen „Arztlohn“, der allein aus dem Rechtsverhältnis zwischen dem Kassenarzt und der kassenärztlichen Vereinigung stammt. Die Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung (§ 95 Abs. 1 SGB V) begründet für sich genommen keinen Anspruch auf angemessene Entlohnung. Voraussetzung jeglicher Vergütungsansprüche ist vielmehr, dass der Kassenarzt vergütungsfähige ärztliche Leistungen erbringt. Diese sind Grundlage des endgültigen Honorarbescheides der kassenärztlichen Vereinigung. Abschlagszahlungen, die der Kassenarzt aufgrund satzungsmäßiger Bestimmungen erhalten mag, ändern daran nichts. Der allgemeine Grundsatz, dass der Anspruch auf Vergütung für geleistete Dienste nicht vor der Dienstleistung entsteht (RGZ 142, 291, 295; BGH, Urt. v. 30. Januar 1997, aaO unter II.1.a aa; BAG NJW 1993, 2699, 2700; aA HambK-InsO/Ahrendt, § 114 Rn. 6; Flöther/Bräuer, NZI 2006, 136, 142), gilt damit auch für den Vergütungsanspruch des Kassenarztes gegen die kassenärztliche Vereinigung. Das vertragsärztliche Vergütungssystem der §§ 82 ff SGB V betrifft die Abrechnung, damit die Fälligkeit des Vergütungsanspruchs, hat auf dessen Entstehen jedoch keinen Einfluss.

2. Der vom Berufungsgericht als Begründung für seine gegenteilige Annahme herangezogene § 114 Abs. 1 InsO gilt nicht für die Vergütungsansprüche eines Kassenarztes gegen die für ihn zuständige kassenärztliche Vereinigung.

a) Im Rahmen ihres Anwendungsbereichs verdrängt die Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO diejenige des § 91 Abs. 1 InsO.

aa) Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 132 InsO-E, dem jetzigen § 114 InsO, sollten Vorausabtretungen, Verpfändungen und Pfändungen (fortan nur: Abtretungen) eingeschränkt werden, um zu gewährleisten, dass die pfändbaren laufenden Bezüge eines Arbeitnehmers während eines längeren Zeitraums nach der Beendigung des Verfahrens für die Verteilung an die Insolvenzgläubiger zur Verfügung stehen. Blieben Abtretungen wirksam, könnte der Schuldner außerdem im Verhältnis zum derart gesicherten Gläubiger keine Restschuldbefreiung erreichen, sondern müsste sich auch nach Ende der Wohlverhaltensperiode und Erteilung der Restschuldbefreiung mit dem pfändungsfreien Betrag seines Einkommens begnügen (BT-Drucks. 12/2443, S. 150 f). Beide Argumente setzen die Wirksamkeit der Abtretungen voraus. Dass diese schon nach § 91 Abs. 1 InsO unwirksam sein könnten, soweit der abgetretene Anspruch erst nach der Eröffnung des Verfahrens entsteht, wird in der amtlichen Begründung nicht angesprochen. Im Anschluss daran wird die Vorschrift des § 114 InsO überwiegend als Wirksamkeitsbeschränkung aufgefasst (Dobmeier, NZI 2006, 144, 148; Flöther/Bräuer, NZI 2006, 136, 142; Branz, ZInsO 2004, 1185, 1187; Fliegner, EWiR 2004, 121, 122; ebenso – ohne Erörterung des § 91 Abs. 1 InsO – die einhellige Kommentarliteratur, vgl. z.B. HK-InsO/Irschlinger, 4. Aufl. § 114 Rn. 1; MünchKomm-InsO/Löwisch/Caspers, § 114 Rn. 1 ff; Uhlenbruck/Berscheid, InsO 12. Aufl. § 114 Rn. 3), zumal auch der Wortlaut der Vorschrift in diese Richtung deutet („.. so ist diese Verfügung nur wirksam, soweit …“).

bb) Diese auf Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Vorschrift gestützte Auslegung des § 114 Abs. 1 InsO ist jedoch weder zwingend noch im Ergebnis befriedigend. Der amtlichen Begründung nach wollte der Gesetzgeber keine praktisch nicht anwendbare Vorschrift schaffen. Die Vorschrift des § 91 Abs. 1 InsO dürfte in diesem Zusammenhang vielmehr nicht bedacht worden sein. Für die Richtigkeit dieser Annahme spricht die Begründung des Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 26. Oktober 2001 (BGBl. I S. 2710), durch das die „Wohlverhaltensperiode“ auf sechs Jahre ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Frist des § 114 Abs. 1 InsO von drei auf zwei Jahre verkürzt worden ist (BT-Drucks. 14/5680, S. 17):

„Eng mit der Dauer der Wohlverhaltensperiode hängt die Frage zusammen, ob und gegebenenfalls für welchen Zeitraum Lohnvorausabtretungen eine Sonderbehandlung erfahren sollen. Nach § 114 Abs. 1 InsO sind derzeit Lohnvorausabtretungen für einen Zeitraum von 3 Jahren ab Verfahrenseröffnung wirksam. Begründet wird diese Privilegierung mit dem Hinweis, zahlreiche Verbraucher könnten außer einer Lohnzession keine weiteren Sicherheiten anbieten und müssten bei einer Einschränkung dieses Kreditsicherungsmittels Nachteile bei der Kreditversorgung in Kauf nehmen. Die Dauer der Wohlverhaltensperiode und die Privilegierung von Gehaltsabtretungen werden als weitgehend interdependent angesehen. Würde man etwa die Wohlverhaltensperiode auf 5 Jahre verkürzen, ohne den Zeitraum der Wirksamkeit von Gehaltsabtretungen zu reduzieren, so würde der pfändbare Teil des Einkommens des Schuldners den ungesicherten Gläubigern nur 2 Jahre zur Verfügung stehen …“.

Der Gesetzgeber des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes hat damit klargestellt, dass nach seiner Auffassung Vorausabtretungen der Bezüge aus einem Dienstverhältnis für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 91 Abs. 1 InsO generell unwirksam wären, wenn es die Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO nicht gäbe. Die dort getroffene Regelung soll es auch dem Personenkreis ermöglichen, sich einen Kredit zu beschaffen, der in der Regel als Sicherheit nur die Abtretung von Bezügen aus abhängiger Tätigkeit anbieten kann. § 114 Abs. 1 InsO enthält danach eine Ausnahmevorschrift zu § 91 Abs. 1 InsO, die jeweils gesondert zu prüfen ist (vgl. Sander, ZInsO 2003, 1129, 1131 f; Wegener/Köke, ZVI 2003, 382, 385 f; für § 110 InsO ebenso HK-InsO/Marotzke, 4. Aufl. § 110 Rn. 4).

b) Die Vergütungsansprüche eines Kassenarztes gegen die für ihn zuständige kassenärztliche Vereinigung stellen keine Forderungen auf „Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge“ im Sinne des § 114 Abs. 1 InsO dar.

aa) Ob Vergütungsansprüche aus selbstständiger Tätigkeit von § 114 Abs. 1 InsO erfasst werden, ist umstritten (bejahend MünchKomm-InsO/Löwisch/Caspers, § 114 Rn. 4; HambK-InsO/Ahrendt, § 114 Rn. 3; verneinend Uhlenbruck/Berscheid, aaO § 114 Rn. 6; Nerlich/Römermann/Kießner, InsO § 114 Rn. 54; Braun/Kroth, InsO 2. Aufl. § 114 Rn. 2; Tetzlaff, ZInsO 2005, 393, 400 f; Sander, ZInsO 2003, 1129, 1132; Ries, ZinsO 2003, 1079, 1083; LG Köln ZInsO 2004, 756). Der Bundesgerichtshof sieht Ansprüche aus privatärztlichen Behandlungsverträgen nicht als „fortlaufende Bezüge aus einem Dienstverhältnis“ im Sinne von § 114 Abs. 1 InsO an (BGHZ 162, 187, 190). Er hat allerdings die Ansprüche eines Kassenarztes gegen die für ihn zuständige kassenärztliche Vereinigung als „Arbeitseinkommen“ im Sinne von § 850 Abs. 2 ZPO eingeordnet (BGHZ 96, 324, 326; BGH, Beschl. v. 28. September 1989 – III ZR 280/88, n.v.; ebenso z.B. OLG Nürnberg InVo 2003, 78 f). Nach nahezu einhelliger Ansicht sollen die Anwendungsbereiche der Vorschriften des § 114 Abs. 1 InsO einerseits, des § 850 Abs. 2 ZPO andererseits übereinstimmen (FK-InsO/Eisenbeis, 4. Aufl. § 114 Rn. 5; Uhlenbruck/Berscheid, aaO Rn. 9; Nerlich/Römermann/Kießner, aaO Rn. 17; MünchKomm-InsO/Löwisch/Casper, aaO Rn. 5 f; HK-InsO/Irschlinger, aaO Rn. 1; HambK-InsO/Ahrendt, aaO Rn. 3; Uhlenbruck, ZVI 2002, 49, 51).

bb) Beide Auslegungen sind vom Wortlaut der Vorschrift gedeckt. Auch Forderungen aus selbstständiger Tätigkeit könnten danach als „Bezüge aus einem Dienstverhältnis“ aufgefasst werden, wenn auch der Gesetzgeber, wie sich aus der Begründung zu § 132 des Regierungsentwurfs ergibt, in erster Linie an Bezüge von Arbeitnehmern, also Ansprüche aus unselbstständiger Tätigkeit gedacht haben mag. Die systematischen Bedenken, die gegen die Einbeziehung von Ansprüchen aus selbstständiger Tätigkeit geäußert worden sind (vgl. Wegener/Köke, ZVI 2003, 382, 384 f), sind ebenfalls nicht zwingend; denn die einander ergänzenden Vorschriften des § 114 Abs. 1, des § 287 Abs. 2 und des § 295 Abs. 2 InsO könnten korrespondierend ausgelegt werden (vgl. etwa MünchKomm-InsO/Stephan, § 287 Rn. 38; FK-InsO/Ahrens, 4. Aufl. § 287 Rn. 50 f; MünchKomm-InsO/Ehricke, § 295 Rn. 103).

cc) Darauf, ob eine Tätigkeit als „selbstständig“ oder „unselbstständig“ einzuordnen ist, kommt es für die Anwendbarkeit des § 114 Abs. 1 InsO aber letztlich nicht an. Entscheidend ist vielmehr ein anderer Gesichtspunkt. Die Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO privilegiert für die Dauer von zwei Jahren Vorausabtretungen, welche der Masse den Ertrag der Arbeitskraft des Schuldners vorenthalten. Die Arbeitskraft des Schuldners gehört nicht zur Masse (§ 36 Abs. 1 InsO); der Schuldner kann zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht gezwungen werden. § 114 Abs. 1 InsO verzichtet also auf mögliche, jedoch nicht erzwingbare Massemehrungen durch dienstleistende Tätigkeiten. Der in eigener Praxis tätige Kassenarzt erzielt sein Einkommen demgegenüber nicht allein aus der Verwertung seiner Arbeitskraft, sondern aus dem Betrieb der Praxis. Damit sind notwendig Ausgaben verbunden, die vom Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an von der Masse getragen werden müssen. Nur so können Vergütungsansprüche gegen die kassenärztliche Vereinigung erwirtschaftet werden. Ansprüche, welche die Begründung von Masseverbindlichkeiten voraussetzen, werden von § 114 Abs. 1 InsO jedoch nicht erfasst.

(1) Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Verwalter nach Maßgabe der §§ 103 ff InsO über die Erfüllung der noch vom Schuldner geschlossenen, nunmehr die Masse berechtigenden und verpflichtenden Rechtsgeschäfte zu entscheiden. Er kann zum Beispiel Erfüllung eines von beiden Seiten nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Vertrages verlangen oder aber dessen Erfüllung ablehnen (§ 103 Abs. 1 InsO), die gemäß § 108 Abs. 1 InsO zunächst fortbestehenden Miet- oder Pachtverhältnisse über einen unbeweglichen Gegenstand oder über Räume, die der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen war, unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist (§ 109 Abs. 1 InsO) beenden sowie Dienstverhältnisse, bei denen der Schuldner der Dienstberechtigte ist, binnen einer Frist von längstens drei Monaten kündigen (§ 113 InsO). In der Insolvenz eines Kassenarztes können diese Befugnisse insbesondere hinsichtlich der Praxisräume und des angestellten Personals von Bedeutung sein. Grundsätzlich ist es Aufgabe des Verwalters, über Fortbestand oder Beendigung der in §§ 103 ff InsO genannten Verträge zu entscheiden. Maßstab der zu treffenden Entscheidung ist die bestmögliche Verwertung des Schuldnervermögens zum Zwecke der gemeinschaftlichen Befriedigung aller Gläubiger (§ 1 Satz 1 InsO).

(2) Wäre § 114 Abs. 1 InsO auch auf die Vergütungsansprüche eines Kassenarztes gegen die kassenärztliche Vereinigung anwendbar, hätte der Verwalter bei seiner Entscheidung darüber, ob Verträge fortgesetzt oder beendet werden sollen, die Abtretung der aus der kassenärztlichen Tätigkeit stammenden Vergütungsansprüche für einen Zeitraum von zwei Jahren ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu berücksichtigen. Um Masseminderungen zu vermeiden, müsste er sämtliche Verträge beenden, was notwendig auch zu einer Beendigung der Praxis führen würde. Mit diesem Ergebnis wäre auch dem Abtretungsgläubiger nicht gedient, dessen Sicherheit nicht durch die Insolvenzeröffnung, aber durch das Ende der ärztlichen Tätigkeit des Schuldners wertlos würde.

(3) Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Ansicht der Beklagten enthält § 114 Abs. 1 InsO keine Verpflichtung des Verwalters, für die Dauer von zwei Jahren von der Beendigung der zum Betrieb der Praxis erforderlichen Dauerschuldverhältnisse abzusehen, um die durch die Abtretung der Vergütungsansprüche begründete Sicherheit nicht zu entwerten. Wortlaut, Entstehungsgeschichte und auch Sinn und Zweck der Vorschrift bieten keinerlei Anhalt für diese Annahme. Verschiedene Vorschriften des Zweiten Abschnitts des Dritten Teils der Insolvenzordnung (§§ 103 ff), zu dem auch § 114 InsO gehört, dienen dazu sicherzustellen, dass Wertschöpfungen aus Mitteln der Masse der Gemeinschaft der Gläubiger zugute kommen, nicht nur einzelnen bevorrechtigten Gläubigern (vgl. zu §§ 17 KO, 103 InsO etwa BGHZ 106, 236, 244; 116, 156, 159 f; 129, 336, 339; 150, 353, 359 f; MünchKomm/Kreft, § 103 Rn. 2). So ordnet § 105 InsO für teilbare Leistungen an, dass der Anspruch auf die Gegenleistung für vor Insolvenzeröffnung an den Schuldner erbrachte Teilleistungen nur eine Insolvenzforderung darstellt, wenn der Insolvenzverwalter die Erfüllung noch ausstehender Leistungen verlangt. Gemäß § 108 Abs. 2 InsO kann der Vertragsgegner Ansprüche aus einem fortbestehenden Dauerschuldverhältnis für die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ebenfalls nur als Insolvenzgläubiger geltend machen. § 114 Abs. 1 InsO enthält insoweit eine Ausnahme von diesem Grundsatz, als der Ertrag der Arbeitskraft des Schuldners nach Insolvenzeröffnung in einem Zeitraum von zwei Jahren nur dem Abtretungsgläubiger zugute kommt. Diese Ausnahme findet ihre Rechtfertigung darin, dass die Arbeitskraft des Schuldners als solche nicht zur Insolvenzmasse gehört (§ 36 Abs. 1 InsO). Eine Erweiterung auf Massebestandteile, deren Ertrag der Gesamtheit der Gläubiger gebührt, kommt jedoch nicht in Betracht.

dd) Entgegen der Annahme von Uhlenbruck (ZVI 2002, 49, 53) kann der notwendige Schutz der Masse nicht im Wege der Festsetzung eines die Kosten der Fortführung der Praxis deckenden Freibetrages gemäß § 36 Abs. 4 InsO, § 850f ZPO bewirkt werden (vgl. zur Möglichkeit, Werbungskosten bei der Berechnung des unpfändbaren Betrages bei sonstigen Vergütungen im Sinne von § 850i ZPO zu berücksichtigen, BGH, Beschl. v. 20. März 2003 – IX ZB 388/02, WM 2003, 980, 983 f). Die Festsetzung des Pfändungsfreibetrages nach den genannten Vorschriften käme allein dem Schuldner zugute, ohne jedoch die Masse zu entlasten. Nach § 36 InsO wird das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners bestimmt, das nicht der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Verwalters (§ 80 Abs. 1 InsO) unterliegt. Der Verwalter hat keinen Einfluss auf die Verwendung der pfändungsfreien Beträge. An der grundsätzlichen Haftung der Masse für die noch vom Schuldner begründeten und vom Verwalter nicht beendeten Verträge würde sich durch einen Freibetrag ebenfalls nichts ändern.

ee) Die vom Senat gewählte Lösung steht nicht in Widerspruch zur Entscheidung BGHZ 96, 324 ff., welche die grundsätzliche Anwendbarkeit der §§ 850 ff ZPO auf die Ansprüche eines Kassenarztes gegen die kassenärztliche Vereinigung bejaht hat.

(1) Die Vorschrift des § 850 ZPO verfolgt andere Ziele als diejenige des § 114 Abs. 1 InsO. § 850 ZPO sichert dem Schuldner einen der Pfändung entzogenen Anteil an Vergütungen für Dienstleistungen, die seine Existenzgrundlage bilden, weil sie seine Erwerbstätigkeit ganz oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen (BGHZ 96, 324, 327). § 114 Abs. 1 InsO betrifft demgegenüber nur pfändbares Vermögen des Schuldners. Es geht hier um die Frage, ob und in welchem Umfang Vergütungsansprüche des Schuldners dem Abtretungsempfänger oder aber der Gesamtheit der Gläubiger zugute kommen. Schon deshalb müssen die beiden auch ihrem Wortlaut nach verschiedenen Vorschriften nicht notwendig gleich ausgelegt werden.

(2) In der praktischen Handhabung beider Vorschriften sind widersprüchliche Ergebnisse nicht zu befürchten. Der Schuldner könnte zwar gemäß § 36 Abs. 4 InsO eine Entscheidung des Insolvenzgerichts dahingehend beantragen, dass der unpfändbare Teil der kassenärztlichen Vergütung an ihn auszukehren sei. Die Möglichkeit eines Antrags auf Unterhalt aus der Insolvenzmasse hat der Schuldner in jedem Fall (§ 100 InsO); etwa vorab an ihn auszukehrende Anteile an dem Vergütungsanspruch würden dann auf seinen Unterhaltsanspruch angerechnet werden. Werbungskosten könnten bei der Berechnung des Freibetrages schon deshalb nicht zugunsten des Schuldners berücksichtigt werden, weil während der Dauer des Insolvenzverfahrens die Masse für den Betrieb der Praxis aufzukommen hat.

III.

Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 ZPO). Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, wann die Forderungen des Schuldners gegen die Kassenzahnärztliche Vereinigung entstanden sind, die Grundlage der Überweisungen waren. Die Sache muss deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden (§ 563 Abs. 1 ZPO). Dazu weist der Senat auf folgenden rechtlichen Gesichtspunkt hin:

Trotz § 91 Abs. 1 InsO ist eine Abtretung wirksam, wenn der Zessionar bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine gesicherte Rechtsposition erworben hatte, die der Zedent durch einseitiges Verhalten nicht mehr zu zerstören vermag (BGH, Urt. v. 5. Januar 1955, aaO; v. 30. Januar 1997, aaO; v. 17. November 2005 – IX ZR 162/04, WM 2006, 144, 145; MünchKomm-InsO/Ganter, vor §§ 49 bis 52 Rn. 23; vgl. auch BGHZ 155, 87, 93 f). Der Vergütungsanspruch des Kassenarztes entsteht dem Grunde nach, sobald der Arzt vergütungsfähige Leistungen erbracht hat. Fällig werden mag der Anspruch erst mit dem endgültigen Honorarbescheid der kassenärztlichen Vereinigung, der aufgrund der in den Gesamtverträgen (§ 83 SGB V) ausgehandelten Gesamtvergütung (§ 85 Abs. 1 SGB V) und des von der KV festgesetzten Verteilungsmaßstabes (§ 85 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB V) ergeht (vgl. BSGE 66, 284, 285).

Auf die Fälligkeit des abgetretenen Anspruchs kommt es im Rahmen des § 91 Abs. 1 InsO jedoch nicht an.

Dr. Kristof Biehl
Rechtsanwalt

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BGH-Urteil zu Insolvenzanfechtungen

Nachfolgende Entscheidung hat Bedeutung für alle Insolvenzanfechtungen.

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

IX ZR 116/03

Verkündet am:
23. März 2006

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. März 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gero Fischer und die Richter Dr. Ganter, Raebel, Kayser und Dr. Detlev Fischer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil des 8. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 3. April 2003 und das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus vom 8. August 2002 sowie dessen Versäumnisurteil vom 14. Februar 2002 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 102.352,11 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 29. April 2000 zu zahlen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 1 v.H. und die Beklagte 99 v.H. zu tragen.

Die durch die Säumnis in erster Instanz verursachten Kosten fallen dem Kläger zur Last.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 21. Juni 1999 am 1. Oktober 1999 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der F. GmbH (fortan: Schuldnerin). Auf der Grundlage einer vollstreckbaren notariellen Urkunde vom 7. Mai 1993 brachte die beklagte Sparkasse gegen die Schuldnerin wegen einer Teilforderung von 1 Mio. DM zwei Vorpfändungen aus, die den Drittschuldnern, ebenfalls Banken, am 15. März 1999 zugestellt wurden. Durch Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse vom 16. März 1999 pfändete sie die angeblichen Ansprüche der Schuldnerin gegen diese Banken aus den Kontoverbindungen; die Beschlüsse wurden den Drittschuldnern am 25. März 1999 und am 7. April 1999 zugestellt. Am 13. April 1999 und am 23. April 1999 überwiesen die Drittschuldner insgesamt 200.183,33 DM (102.352,11 ¤) an die Beklagte, die nach Eingang der Zahlungen die Pfändungen aufheben ließ.

Der Kläger hat gestützt auf die Tatbestände der Deckungsanfechtung und Vorsatzanfechtung unter anderem die Rückgewähr dieses Betrages verlangt. Am Tag der Zustellung der Klage hat er die Klageforderung hierauf beschränkt. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Verurteilung der beklagten Sparkasse.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, auf § 133 Abs. 1 InsO lasse sich die Anfechtung nicht stützen, weil diese Vorschrift eine Rechtshandlung des Schuldners voraussetze, an der es im Streitfall fehle. Nach den §§ 130, 131 InsO müsse die gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung in den letzten drei Monaten vor dem Antrag vorgenommen worden sein. Dies treffe auf die Vorpfändungen nicht zu, so dass diese isoliert nicht anfechtbar seien. Spätere, in den anfechtbaren Zeitraum fallende Rechtshandlungen könnten nicht mehr angefochten werden, wenn dem Anfechtungsgegner durch eine vorausgegangene, nicht mehr anfechtbare Rechtshandlung eine insolvenzfeste Sicherung verschafft worden sei. Dieser Rechtsgedanke sei auf das Verhältnis zwischen der Hauptpfändung und der Befriedigung einerseits und der Vorpfändung andererseits zu übertragen. Folge die Hauptpfändung innerhalb der Frist des § 845 Abs. 2 ZPO, aber erst nach Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbots oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach, sei sie nicht wirksam. Dasselbe gelte, wenn die Hauptpfändung der Rückschlagsperre (§ 88 InsO) unterfalle. Werde die Hauptpfändung dagegen – wie hier – vor Beginn der Frist des § 88 InsO ausgebracht, bleibe sie wirksam. Die Vorpfändung behalte dann die durch § 845 Abs. 2 ZPO angeordnete Wirkung.

II.

Diese Begründung hält einer rechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Das Berufungsgericht hat im Ausgangspunkt richtig gesehen, dass die von der Beklagten am 15. März 1999 nach § 845 Abs. 1 ZPO ausgebrachten Vorpfändungen, falls sie als selbständige Rechtshandlungen im Sinne von § 140 InsO und nicht jeweils als Teil einer mehraktigen Rechtshandlung anzusehen wären, ebenso wie die innerhalb der Monatsfrist des § 845 Abs. 2 Satz 1 ZPO bewirkten Pfändungen selbständig anfechtbar wären. Gleiches gilt für die wiederum zeitlich nachfolgenden Überweisungen durch die Drittschuldner vom 13. April 1999 und 23. April 1999 (vgl. BGH, Urt. v. 21. März 2000 – IX ZR 138/99, WM 2000, 1071, 1072; MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 131 Rn. 28). Zutreffend ist auch, dass die Anfechtung der Befriedigung – im Streitfall durch die Überweisungen der Drittschuldner – nicht erfolgversprechend ist, wenn die vorausgegangenen Pfändungen insolvenzbeständig sind. Hat der Gläubiger ein anfechtungsfestes Pfandrecht erworben, so braucht er davon gedeckte Zahlungen nicht zurückzugewähren, weil sie die Gläubiger nicht benachteiligen (BGHZ 157, 350, 355; BGH, Urt. v. 10. Februar 2005 – IX ZR 211/02, WM 2005, 564, 568, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ 162, 152). Dies gilt auch, wenn die Überweisung erst aufgrund einer Absprache erfolgt sein sollte, wonach der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gegen Zahlung eines bestimmten Betrages aufgehoben werde. Denn auch in diesem Fall ist die Zahlung durch das Pfandrecht gedeckt (vgl. BGH, Urt. v. 10. Februar 2005 – IX ZR 211/02, aaO S. 568).

2. Das Berufungsgericht hat auch richtig erkannt, dass die beiden Vorpfändungen isoliert betrachtet nicht nach §§ 130, 131 InsO anfechtbar sind, weil diese Vorschriften nur Rechtshandlungen in dem besonders geschützten zeitlichen Bereich erfassen, der drei Monate vor Stellung des Insolvenzantrags beginnt. Ihre Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO scheitert daran, dass Zwangsvollstreckungshandlungen des Gläubigers ohne eine vorsätzliche Rechtshandlung oder eine ihr gleichstehende Unterlassung des Schuldners nach dieser Bestimmung nicht anfechtbar sind (BGH, Urt. v. 10. Februar 2005 – IX ZR 211/02, aaO S. 565). Für eine Rechtshandlung des Schuldners im Zusammenhang mit den ausgebrachten Vorpfändungen fehlt nach den tatrichterlichen Feststellungen und dem Parteivortrag in den Vorinstanzen jeder Anhaltspunkt.

3. Die außerhalb der „kritischen“ Zeit ausgebrachten Vorpfändungen begründen jedoch noch kein nach § 50 Abs. 1 InsO insolvenzgeschütztes Sicherungsrecht, weil sie nur Teil mehraktiger Rechtshandlungen sind und die Erfüllung der letzten Teilakte dieser Rechtshandlungen in die gesetzliche Krise fällt.

a) Nach der feststehenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine während der „kritischen“ Zeit im Wege der Zwangvollstreckung erlangte Sicherheit oder Befriedigung als inkongruent anzusehen (BGHZ 136, 309, 311 ff; 157, 350, 353; BGH, Urt. v. 11. April 2002 – IX ZR 211/01, WM 2002, 1193, 1194). Im Anschluss an Henckel (vgl. Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 30 Rn. 232) hat der Bundesgerichtshof die Inkongruenz in diesen Fällen aus der zeitlichen Vorziehung des insolvenzrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes und der damit verbundenen Zurückdrängung des Prioritätsprinzips sowie aus der Erwägung hergeleitet, dass nach Eintritt der Krise und der damit verbundenen materiellen Insolvenz eine Ungleichbehandlung nicht mehr durch den Einsatz staatlicher Zwangsmittel insolvenzfest erzwungen werden soll (vgl. BGH, aaO; HK-InsO/Kreft, 4. Aufl. § 131 Rn. 15; MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 131 Rn. 26).

b) Wird die Vorpfändung schon vor der „kritischen“ Zeit ausgebracht, folgt die Hauptpfändung innerhalb der Monatsfrist des § 845 Abs. 2 ZPO nach und fällt sie in den von § 131 InsO geschützten Zeitraum, so stellt sich die Frage, ob die in § 845 Abs. 2 Satz 1 ZPO angeordnete Wirkung der Benachrichtigung des Drittschuldners eine Anfechtung der Hauptpfändung mangels einer objektiven Gläubigerbenachteiligung ausschließt.

aa) Das Reichsgericht hat dies angenommen (vgl. RGZ 83, 332, 334; 151, 265, 266 f). Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich bei der durch die Benachrichtigung des Drittschuldners ausgelösten Arrestwirkung im Sinne von § 930 ZPO um eine wirkliche Pfandrechtsbegründung handele (RGZ 151, 265, 267; a.A. OLG Naumburg OLGRsp. 26, 401, 402). Dieser Standpunkt ist unter der Geltung der Konkurs- und Vergleichsordnung teils auf Zustimmung, teils auf Ablehnung gestoßen (zum damaligen Meinungsstand siehe Jaeger/Henckel, aaO § 30 Rn. 245; Kuhn/Uhlenbruck, KO 11. Aufl. § 30 Rn. 42h; Karsten Schmidt, Insolvenzgesetze 17. Aufl. § 30 KO Anm. 14 a.E.). Im Anwendungsbereich der Insolvenzordnung setzt sich der Meinungsstreit fort. Es wird teilweise weiterhin die Auffassung vertreten, das durch die Vorpfändung erwirkte Pfandrecht habe nicht nur rangwahrende Wirkung in der Einzelzwangsvollstreckung, sondern bestimme – jedenfalls außerhalb des Anwendungsbereichs des § 88 InsO – den maßgeblichen Zeitpunkt auch für die Insolvenzanfechtung (vgl. Musielak/Becker, ZPO 4. Aufl. § 845 Rn. 9; Stein/Jonas/Brehm, ZPO 22. Aufl. § 845 Rn. 17, 23; Stöber, Forderungspfändung 13. Aufl. Rn. 805; Zöller/Stöber, ZPO 25. Aufl. § 845 Rn. 5). Nach anderer Auffassung ist in diesem Fall die Hauptpfändung selbständig als inkongruente Sicherung mit der Folge anfechtbar, dass eine erfolgreiche Anfechtung nach § 845 Abs. 2 ZPO ohne weiteres die Unwirksamkeit der Vorpfändung zur Folge hat (vgl. FK-InsO/Dauernheim, 4. Aufl. § 131 Rn. 24; MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 131 Rn. 28; wohl auch HK-InsO/Kreft, aaO § 131 Rn. 15).

bb) Der letztgenannten Auffassung ist im Ergebnis zuzustimmen. Fällt die Hauptpfändung in die „kritische“ Zeit und ist sie nach § 131 InsO anfechtbar, verliert eine zuvor ausgebrachte Vorpfändung ihre Wirkung. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist es unerheblich, ob die Hauptpfändung schon nach § 88 InsO unwirksam ist, weil sie in zeitlicher Hinsicht unter die Rückschlagsperre fällt, oder ob es der besonderen Insolvenzanfechtung bedarf, um den insolvenzrechtlichen Rückgewähranspruch des § 143 InsO auszulösen. Für eine Differenzierung danach, ob die Hauptpfändung im letzten Monat oder im zweiten oder dritten Monat vor Stellung des Insolvenzantrags bewirkt worden ist, fehlt ein tragfähiger sachlicher Grund. Der erste Fall ist auch nur schwer vorstellbar, weil dann wegen der Frist des § 845 Abs. 2 ZPO bereits die Vorpfändung in den von § 131 InsO geschützten Zeitraum fiele.

(1) Nach § 140 Abs. 1 InsO gilt eine Rechtshandlung als in dem Zeitpunkt vorgenommen, in dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten. Dies ist der Zeitpunkt, in dem die gesamten Erfordernisse vorliegen, an welche die Rechtsordnung die Entstehung, Aufhebung oder Veränderung eines Rechtsverhältnisses knüpft, mithin die Rechtshandlung die Gläubigerbenachteiligung bewirkt (vgl. BGH, Urt. v. 19. Dezember 2002 – IX ZR 377/99, ZIP 2003, 488, 490; HK-InsO/Kreft, aaO § 140 Rn. 3; Fischer, ZIP 2004, 1679, 1680). Nach den Gesetzesmaterialien ist gemeinsamer Grundgedanke der Regelung der verschiedenen Absätze des § 140 InsO, dass der Zeitpunkt entscheidet, in dem durch die Rechtshandlung eine Rechtsposition begründet worden ist, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beachtet werden müsste (vgl. BT-Drucks. 12/2443 S. 166). Die Pfändungsankündigung nach § 845 Abs. 1 ZPO bedarf zu ihrer Wirksamkeit, dass innerhalb eines Monats die Pfändung der Forderung bewirkt wird (§ 845 Abs. 2 ZPO). Ohne die nachfolgende Pfändung kann kein Pfandrecht entstehen, welches den Gläubiger zur abgesonderten Befriedigung nach § 50 Abs. 1 InsO berechtigt. Damit das Pfändungspfandrecht insolvenzfest ist, müssen alle dafür notwendigen Voraussetzungen schon eingetreten sein, bevor der Schutz des § 131 InsO einsetzt. Nach einer Vorpfändung ist dies erst der Fall, sobald die Hauptpfändung wirksam geworden ist.

Hierbei kommt es nicht darauf an, ob – wie dies teilweise im Schrifttum vertreten wird (vgl. Stein/Jonas/Brehm, aaO § 845 Rn. 14; Bley/Mohrbutter, VerglO 4. Aufl. § 28 Rn. 43; a.A. Zöller/Stöber, aaO § 845 Rn. 5) – die Vorpfändung als durch das Ausbleiben der Hauptpfändung auflösend bedingtes Pfandrecht anzusehen ist. Denn die Bestimmung des § 140 Abs. 3 InsO, nach der bei einer bedingten Rechtshandlung der Eintritt der Bedingung außer Betracht bleibt, findet nur auf rechtsgeschäftliche Bedingungen Anwendung (vgl. BGH, Urt. v. 20. März 2003 – IX ZR 166/02, ZIP 2003, 808, 809; HK-InsO/Kreft, aaO § 140 Rn. 13; Kübler/Prütting/Paulus, InsO § 140 Rn. 10; Henckel in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. S. 813, 848 f). Die durch § 845 Abs. 2 Satz 1 ZPO angeordnete Arrestwirkung (§ 930 ZPO) bei fristgemäß bewirkter Hauptpfändung gehört nicht hierher.

(2) Dieses Ergebnis wird durch den Sinn und Zweck des § 845 ZPO bestätigt. Ein Vorrang des Vorpfändenden nach § 845 Abs. 2 Satz 1, § 930 Abs. 1 Satz 2, § 804 Abs. 3 ZPO ist insolvenzrechtlich nur gerechtfertigt, wenn zur Zeit der Hauptpfändung das Prioritätsprinzip noch gilt. Unter Gläubigern, die während der Geltung des Prioritätsprinzips pfänden, soll derjenige den besseren Rang haben, der die Pfändung zuerst in der Form des § 845 Abs. 1 Satz 1 ZPO angekündigt hat oder durch den Gerichtsvollzieher hat ankündigen lassen (vgl. § 845 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Gilt im Zeitpunkt der Hauptpfändung das Prioritätsprinzip hingegen nicht mehr, trifft die Gläubiger die Pflicht zu wechselseitiger Rücksichtnahme. In der „kritischen“ Zeit tritt die Befugnis des Gläubigers, sich im Wege hoheitlichen Zwangs eine rechtsbeständige Sicherung oder Befriedigung für eine Forderung zu verschaffen, hinter den Schutz der Gläubigergesamtheit zurück (vgl. BGH, Urt. v. 10. Februar 2005 – IX ZR 211/02, aaO S. 566). Mit diesem Grundsatz ist es nicht zu vereinbaren, die Pfändungsankündigung, bei der es sich – für sich genommen – lediglich um eine private Nachricht des Gläubigers handelt, durch hoheitliche Zwangsmaßnahmen einzelner, die in den die Gläubigergesamtheit besonders schützenden Zeitraum fallen, zu einer rechtsbeständigen Sicherung aufzuwerten. Die Vorschrift des § 845 Abs. 2 Satz 1 ZPO vermag deshalb in der Insolvenz des Schuldners die in der Vorschrift genannten Rechtsfolgen nur auszulösen, wenn auch die Hauptpfändung als der letzte zur Begründung des Pfändungspfandrechts erforderliche Teilakt außerhalb des Dreimonatszeitraums erfüllt ist.

(3) Der Einwand der Beklagten in der Revisionsverhandlung, aus der Verweisung in § 845 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf die Wirkungen des Arrestes (§ 930 ZPO) folge, dass die Vorpfändung nicht nur in der Einzelzwangsvollstreckung, sondern auch insolvenzrechtlich der Arrestpfändung nach § 930 Abs. 1 Satz 1 ZPO gleichzustellen sei, ist unbegründet. Das Arrestpfandrecht verschafft dem Gläubiger, solange der Titel besteht, ein vollwertiges Pfändungspfandrecht mit den in § 804 ZPO bestimmten Wirkungen. Dieses Pfändungspfandrecht berechtigt zwar noch nicht zur abgesonderten Befriedigung. Es hat zunächst nur eine Sicherungsfunktion. Folgerichtig kann der Gläubiger das Absonderungsrecht mit dem durch das Arrestpfandrecht erlangten Rang, ohne dass § 91 InsO entgegensteht, erst geltend machen, sobald der gesicherte Anspruch durch Feststellung zur Insolvenztabelle Vollstreckbarkeit erhält (vgl. HK-InsO/Eickmann, aaO § 50 Rn. 9; Jaeger/Henckel, aaO § 14 Rn. 26; Joneleit/Imberger in FK-InsO, aaO § 50 Rn. 10; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. § 50 Rn. 43). Die Vorpfändung hat die Wirkungen einer Arrestpfändung dagegen nur, sofern die Hauptpfändung innerhalb eines Monats bewirkt wird (vgl. § 845 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Ohne eine Hauptpfändung kann sie Absonderungskraft nicht entfalten. Darin liegt der Unterschied zur Vollziehung des Arrestes, der als selbständige Rechtshandlung für sich genommen eine Rechtsposition im Sinne von § 140 Abs. 1 InsO begründet, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beachtet werden müsste. Eine anfechtungsrechtliche Gleichstellung ist daher nicht geboten.

Das Berufungsurteil kann deshalb keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO).

III.

Die übrigen Anfechtungsvoraussetzungen nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO sind gegeben. Dies kann der Senat abschließend entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).

1. Da die Beklagte kein anfechtungsfestes Pfandrecht erworben hat, muss sie die nicht gedeckten Zahlungen, welche die Gläubiger benachteiligen, zurückgewähren. Zur Zeit der anfechtbaren Handlungen im April 1999 war die Schuldnerin zahlungsunfähig. Nach dem von der Beklagten nicht wirksam bestrittenen Vortrag des Klägers befand sich die Schuldnerin seit Dezember 1998 unter anderem mit den Lohnzahlungen in Höhe von fünf bis sechs Monatslöhnen im Rückstand. Die durch den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss von der Beklagten eingeforderte (Teil-)Forderung belief sich allein auf 1 Mio DM. Die Schuldnerin war unstreitig nicht mehr kreditwürdig. Die Kreditlinien waren ausgeschöpft.

2. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Zinsen sind vom Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung an zu berechnen (vgl. BGH, Urt. v. 22. September 2005 – IX ZR 271/01, ZIP 2005, 1888, 1889; HK-InsO/Kreft, aaO § 129 Rn. 79, § 143 Rn. 18).

Dr. Kristof Biehl
Rechtsanwalt

Gregor-Mendel-Str. 4
14469 Potsdam

Telefon +49 331 200565-70
Telefax +49 331 200565-75

Internationale Zuständigkeit im Insolvenzverfahren

Von Interesse ist für alle Schuldner, die innerhalb der EU Insolvenzverfahren durchlaufen und im Ausland wohnen, die folgende Entscheidung:

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS

IX ZB 192/04

vom
2. März 2006

in dem Verfahren auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gero Fischer, die Richter Dr. Ganter und Vill, die Richterin Lohmann und den Richter Dr. Detlev Fischer

am 2. März 2006

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 14. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 9. Juli 2004 wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.

Der Wert des Verfahrens der Rechtsbeschwerde wird auf 4.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die (weitere) Beteiligte zu 2 beantragte am 18. Dezember 2003 beim Amtsgericht – Insolvenzgericht – München die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Die Schuldnerin, bis dahin selbstständige Architektin mit Wohnsitz und Büro in München, verlegte Anfang Februar 2004 ihren Wohnsitz nach Salzburg (Österreich). Am 4. März, 23. März und 30. März 2004 stellten die (weiteren) Beteiligten zu 3 bis 5 Insolvenzanträge gegen die Schuldnerin. Am 18. März 2004 bestellte das Insolvenzgericht den (weiteren) Beteiligten zu 1 zum vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete an, dass Verfügungen der Schuldnerin nur mit seiner Zustimmung wirksam seien. Am 29. März 2004 erklärte die Beteiligte zu 2 ihren Antrag für erledigt und beantragte, der Schuldnerin die Verfahrenskosten aufzuerlegen. Das Insolvenzgericht hielt den Antrag nicht für erledigt, weil Zahlungen der Schuldnerin an die Beteiligte zu 2 nach Anordnung der vorläufigen Verwaltung und ohne die erforderliche Zustimmung des Beteiligten zu 1 erfolgt seien, und eröffnete am 8. Juni 2004 aufgrund der Anträge der Beteiligten zu 2 bis 5 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin.

Die Schuldnerin hatte bereits im Eröffnungsverfahren die Ansicht vertreten, das Amtsgericht München sei für die nach ihrem Umzug nach Salzburg eingegangenen Anträge nicht mehr zuständig. Ihre sofortige Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss blieb erfolglos. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt sie weiterhin das Ziel einer Abweisung der Anträge der Beteiligten zu 2 bis 5.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 7, 6, 34 Abs. 2 InsO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Sie bleibt jedoch ohne Erfolg.

Das Landgericht hat ausgeführt: Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO sei das Amtsgericht München für das Insolvenzverfahren zuständig gewesen; denn im maßgeblichen Zeitpunkt des Einganges des Antrags der Beteiligten zu 2 sei der allgemeine Gerichtsstand der Schuldnerin noch in München gewesen. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts München folge aber auch aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO und § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO. Auch wenn die Schuldnerin, wie sie behaupte, nur noch gelegentlich in München tätig gewesen sei, sei doch ein anderer Ort ihrer selbstständigen Tätigkeit nicht vorgetragen worden. Die Erledigungserklärung der Beteiligten zu 2 ändere nichts, weil noch weitere Anträge vorgelegen hätten; überdies sei der Antrag nicht erledigt, weil die Zahlungen nach Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung ohne Zustimmung des Beteiligten zu 1 erfolgt seien und damit keine schuldbefreiende Wirkung gehabt hätten.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung jedenfalls im Ergebnis stand.

1. Auf den Antrag der Beteiligten zu 2 hätte das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin allerdings nicht eröffnet werden dürfen.

a) Die Beteiligte zu 2 hat ihren Antrag vor der Entscheidung über die Eröffnung für erledigt erklärt. Das ist grundsätzlich möglich (vgl. BGHZ 149, 178, 181).

b) Ein für erledigt erklärter Antrag ist nicht mehr auf das Ziel der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gerichtet. Begehrt wird nur noch die Feststellung, dass der zunächst zulässige und begründete Antrag sich durch ein nachträgliches Ereignis erledigt hat. War der Antrag unzulässig oder unbegründet oder hat er sich tatsächlich nicht erledigt, muss er zurückgewiesen werden. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird von einem für erledigt erklärten Antrag jedoch nicht mehr erfasst und kann auf ihn hin nicht mehr erfolgen (BGHZ 149, 179, 181). Der für erledigt erklärte Antrag vom 18. Dezember 2003 konnte damit nicht Grundlage der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sein. Das Insolvenzgericht hätte ihn – weil die Schuldnerin sich ihm nicht angeschlossen hatte (§§ 4 InsO, 91a Abs. 1 ZPO in der Fassung vor Inkrafttreten des Justizmodernisierungsgesetzes vom 24. August 2004) – zurückweisen müssen, wenn tatsächlich keine Erledigung eingetreten war.

2. Das Amtsgericht München war jedoch auch für diejenigen Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens örtlich zuständig, die erst nach dem Wegzug der Schuldnerin nach Salzburg eingereicht worden sind.

a) Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO sind die Gerichte desjenigen Mitgliedsstaates für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Antragstellung. Verlegt der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen nach Antragstellung, aber vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats, bleibt das zunächst mit der Sache befasste Gericht für die Entscheidung über die Eröffnung dieses Verfahrens zuständig (EuGH, Urt. v. 17. Januar 2006 – Rs. C – 1/04, ZIP 2006, 188; BGH, Beschl. v. 9. Februar 2006 – IX ZB 418/02, z.V.b.).

b) Aus der Zuständigkeit des Amtsgerichts München für den Antrag der Beteiligten zu 2 folgt allerdings nicht zwingend seine Zuständigkeit auch für die erst nach dem Wegzug der Schuldnerin eingegangenen Insolvenzanträge. Grundsätzlich leitet jeder Insolvenzantrag ein eigenes Eröffnungsverfahren ein (HK-InsO/Kirchhof, 4. Aufl. § 13 Rn. 11, § 14 Rn. 37; vgl. auch OLG Köln ZIP 2001, 1018, 1020). Erst die Eröffnung „bündelt“ alle vorhandenen Anträge in einem einzigen Verfahren; mehr als ein (laufendes) Insolvenzverfahren findet nicht statt. Nach Ansicht der Rechtsbeschwerde folgt aus der grundsätzlichen Selbstständigkeit jedes Eröffnungsantrags, dass das Insolvenzgericht in jedem einzelnen Eröffnungsverfahren seine Zuständigkeit zu prüfen und gegebenenfalls zu verneinen hat. Nach einem Wohnsitzwechsel eingehende Anträge müssten danach abgewiesen oder an das für den neuen Wohnsitz zuständige Insolvenzgericht abgegeben werden, unabhängig davon, ob das Insolvenzgericht bereits mit einem zuvor eingegangenen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens befasst ist. Diese Ansicht trifft nicht zu.

aa) Für reine Inlandsfälle folgt die Zuständigkeit des bereits mit einem Eröffnungsantrag befassten Insolvenzgerichts für später – etwa nach einem Wohnsitzwechsel – eingehende Anträge jedenfalls aus einer entsprechenden Anwendung des § 3 Abs. 2 InsO.

(1) Sind mehrere Gerichte für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig, schließt dasjenige Gericht, bei dem zuerst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt worden ist, die übrigen aus (§ 3 Abs. 2 InsO). Der Antrag eines Gläubigers bei einem von mehreren zuständigen Gerichten legt also die Zuständigkeit auch für spätere Gläubiger fest (HK-InsO/Kirchhof, aaO § 3 Rn. 18; MünchKomm-InsO/Ganter, § 3 Rn. 20; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 3 Rn. 6). Die Zuständigkeit eines anderen potentiell ebenfalls zuständigen Gerichts kann danach nicht mehr begründet werden (Henckel/Gerhardt, InsO § 3 Rn. 43). Das später angegangene Gericht bleibt so lange ausgeschlossen, wie der beim Erstgericht eingegangene frühere Antrag noch nicht erledigt ist. Auf den Zeitpunkt der Eröffnung kommt es nicht an (MünchKomm-InsO/Ganter, aaO).

(2) Der Fall, dass nicht schon bei Eingang des ersten Antrags mehrere Gerichte für das Insolvenzverfahren zuständig sind, sondern die Zuständigkeit eines weiteren Gerichts erst aufgrund nachträglicher Veränderungen – etwa eines Wohnsitzwechsels – eintritt, ist in § 3 Abs. 2 InsO nicht ausdrücklich geregelt. Für ihn kann jedoch nichts anderes gelten als für den Fall einer von vornherein bestehenden Zuständigkeit mehrerer Insolvenzgerichte. Die Vorschrift des § 3 Abs. 2 InsO soll nicht nur sicherstellen, dass nicht mehr als ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet wird. Auch Sicherungsmaßnahmen im Sinne von § 21 InsO sollen nur von einem einzigen Insolvenzgericht angeordnet werden können. Dieses Ziel wird nur dann erreicht, wenn schon im Eröffnungsverfahren nicht mehr als ein Insolvenzgericht für derartige Maßnahmen örtlich zuständig ist.

bb) Im vorliegenden Fall folgte die potentielle Zuständigkeit eines weiteren Gerichts nicht aus § 3 Abs. 1 InsO, sondern – weil die Schuldnerin ihren Wohnsitz in einen anderen EU-Mitgliedstaat verlegt hatte – aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. Auch in einem solchen Fall bleibt es jedoch bei der Zuständigkeit des zuerst mit der Sache befassten Insolvenzgerichts.

(1) Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 17. Januar 2006 (aaO S. 189) widerspricht ein Wechsel der Zuständigkeit vom zuerst befassten Gericht zu einem Gericht eines anderen Mitgliedstaates dem Ziel der Verordnung. Wie sich aus der vierten Begründungserwägung der Verordnung ergibt, wollte der Gemeinschaftsgesetzgeber verhindern, dass es für die Parteien vorteilhafter ist, Vermögensgegenstände oder Rechtsstreitigkeiten von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu verlagern, um auf diese Weise eine verbesserte Rechtsstellung anzustreben. Dieses Ziel würde nicht erreicht, wenn der Schuldner dadurch, dass er in der Zeit zwischen der Einreichung des Eröffnungsantrags und dem Erlass der Entscheidung zur Eröffnung des Verfahrens den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, den Gerichtsstand und das anwendbare Recht bestimmen könnte. Ein solcher Wechsel der Zuständigkeit widerspräche außerdem dem in der zweiten und der achten Begründungserwägung der Verordnung zum Ausdruck gebrachten Ziel der Verbesserung und Wirksamkeit grenzüberschreitender Verfahren, da der Schuldner die Gläubiger zwingen würde, gegen ihn immer wieder dort vorzugehen, wo er sich gerade für kürzere oder längere Zeit niederlässt, und dadurch in der Praxis häufig eine Verlängerung des Verfahrens drohen würde.

(2) Im vorliegenden Fall hat die Schuldnerin nach Eingang des (ersten) Insolvenzantrags nicht nur ihren Wohnsitz verlegt. Sie hat auch die dem ersten Antrag zugrunde liegende Forderung beglichen (oder zu begleichen versucht) und so erreicht, dass die Beteiligte zu 2 ihren Insolvenzantrag für erledigt erklärte. Mit diesem Verhalten wollte die Schuldnerin ersichtlich auch den nach ihrem Wegzug nach Salzburg beim Insolvenzgericht München eingegangenen Insolvenzanträgen die Grundlage entziehen. Das bis dahin zuständige Insolvenzgericht München, das bereits Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO angeordnet hatte, sollte seine örtliche Zuständigkeit verlieren. So sollte die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin verhindert oder jedenfalls erheblich hinausgezögert werden. Auch darin lag der Versuch eines von der vierten Begründungserwägung ausdrücklich missbilligten „forum shopping“. Um einem solchen Verhalten entgegenzuwirken, muss die einmal begründete, gemäß Art. 3 Abs. 3 EuInsVO für Hauptinsolvenzverfahren ausschließliche Zuständigkeit des ersten mit der Sache befassten Gerichts auch diejenigen Anträge erfassen, die bis zur rechtskräftigen Erledigung des Erstantrags bei diesem Gericht eingegangen sind, und zwar auch und gerade dann, wenn der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen zwischenzeitlich in einen anderen Mitgliedstaat verlegt hatte. Das einmal zuständige Gericht muss auch nach Erledigung des Erstantrags für zwischenzeitlich eingegangene, aber noch nicht erledigte Anträge zuständig bleiben. Nur diese Auslegung wird dem Anliegen der EuInsVO gerecht, Effizienz und Wirksamkeit grenzüberschreitender Insolvenzverfahren zu verbessern (vgl. EuGH, Urt. v. 17. Januar 2006, aaO S. 189).

(3) Eine Vorlage gemäß Art. 234 EGV an den Europäischen Gerichtshof ist nicht angezeigt. Eine Vorlagepflicht gemäß Art. 234 Abs. 3 EG-Vertrag besteht dann nicht, wenn das letztinstanzliche nationale Gericht in dem bei ihm schwebenden Verfahren feststellt, dass die betreffende entscheidungserhebliche gemeinschaftsrechtliche Frage bereits Gegenstand der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof war oder die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts offenkundig für einen vernünftigen Zweifel keinen Raum lässt (EuGH, Urt. v. 6. Oktober 1982, Rs. 283/81 – C.I.L.F.I.T. – Slg. 1982, 3415, 3430 Rn. 16; vgl. BGHZ 109, 29, 35; BGH, Urt. v. 28. März 2001 – VIII ZR 72/00, WM 2001, 1264, 1265 f.; v. 24. Oktober 2003 – V ZR 48/03, WM 2004, 693, 695; v. 10. Oktober 2005 – II ZR 148/03, NJW 2006, 371, 373; BVerfG NJW 1988, 1456). So liegt der Fall hier. In dem zitierten Urteil vom 17. Januar 2006 (aaO) hat der Europäische Gerichtshof Grundsätze zur Auslegung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO aufgestellt, die auch den vorliegenden Fall erfassen.

(3) Die Anträge der Beteiligten zu 3 und zu 4 sind nach dem Umzug der Schuldnerin nach Salzburg, aber vor der Erledigungserklärung der Beteiligten zu 2 beim Insolvenzgericht München eingegangen, zu einem Zeitpunkt also, als die Zuständigkeit anderer Gerichte entsprechend Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ausgeschlossen war. Sie begründeten zugleich die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts München für den erst nach der Erledigungserklärung der Beteiligten zu 2 eingegangenen Antrag der Beteiligten zu 5.

3. Ob die Schuldnerin in der Zeit zwischen ihrem Umzug nach Salzburg und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch in München tätig war und ob das Landgericht diesbezüglichen Vortrag der Schuldnerin aus der Beschwerdebegründung übergangen hat, ist damit nicht entscheidungserheblich. Die weitere Rüge der Rechtsbeschwerde, das Landgericht habe unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG Vortrag der Schuldnerin zum Fehlen einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse (§ 26 Abs. 1 InsO) übergangen, ist unberechtigt. Die Schuldnerin hat zwar in einem Schreiben an das Insolvenzgericht vom 23. Juni 2004 die Ansicht vertreten, die im Gutachten des Beteiligten zu 1 ausgewiesenen Anfechtungsansprüche gegen die Beteiligte zu 2 bestünden nicht, weil die entsprechenden Zahlungen nicht von ihr, sondern von ihrer Geschäftspartnerin geleistet worden seien. Die vorgelegten Überweisungsträger weisen jedoch, wie das Landgericht unangegriffen festgestellt hat, die Schuldnerin und nicht deren Geschäftspartnerin als Auftraggeberin aus. Auf dieser Grundlage hätte eine Anfechtungsklage durchaus Aussicht auf Erfolg. Der Beteiligte zu 1 hat Zahlungen in Höhe von 8.243,86 Euro ermittelt. Dass die Schuldnerin nur Überweisungen in Höhe von knapp 6.000 Euro belegt hat, bedeutet nicht, dass die Angaben des Beteiligten zu 1 nicht zutreffen.

Dr. Kristof Biehl
Rechtsanwalt

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Zur groben Fahrlässigkeit im Rahmen der Versagung der Restschuldbefreiung

Anbei eine Entscheidung zur groben Fahrlässigkeit im Rahmen der Versagung der Restschuldbefreiung:

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS

IX ZB 218/04

vom
9. Februar 2006

in dem Verbraucherinsolvenzverfahren

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gero Fischer, die Richter Dr. Ganter, Cierniak, die Richterin Lohmann und den Richter Dr. Detlev Fischer

am 9. Februar 2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen vom 24. August 2004 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt 22.000 ¤.

Gründe:

I.

Am 3. März 2003 eröffnete das Insolvenzgericht das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners; zugleich stundete es ihm die Verfahrenskosten. Am 17. Juli 2003 verstarb der Vater des Schuldners. Nach dessen Vortrag berief sich der Sohn der vorverstorbenen Lebensgefährtin des Vaters bald danach auf das Eigentum seiner Mutter an der Wohnungseinrichtung und forderte erfolgreich deren Herausgabe. Den weiteren Ausführungen des Schuldners zufolge erfuhr er erst am 26. August 2003 bei einem Gespräch mit Vertretern der Sparkasse G. von einem Kontoguthaben seines Vaters in Höhe von knapp 44.000 ¤; dies habe er dem Treuhänder mit Schreiben vom 28. August 2003 mitgeteilt.

Die (weitere) Beteiligte zu 1 hat im schriftlichen Verfahren rechtzeitig die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt. Mit Beschluss vom 5. Juli 2004 hat das Insolvenzgericht die Restschuldbefreiung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO versagt und die Stundung aufgehoben. Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen diesen Beschluss ist zurückgewiesen worden. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Schuldners.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 7, 6 Abs. 1, § 289 Abs. 2 Satz 1, § 4d Abs. 1 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1. Das Landgericht hat ausgeführt: Der Schuldner habe die Pflicht gehabt, den Treuhänder darüber zu informieren, dass ihm durch eine Erbschaft Vermögen zugefallen sei. Ob die Benachrichtigung des Treuhänders rechtzeitig gewesen sei, könne dahinstehen. Maßgeblich sei, dass der Schuldner grob fahrlässig gegen seine Mitwirkungspflichten verstoßen habe, indem er aus dem Nachlass 8.000 Euro entnommen und für eigene Zwecke verbraucht habe. Im Blick auf die Versagung der Restschuldbefreiung sei auch die Entscheidung des Amtsgerichts, die Stundung aufzuheben, nicht zu beanstanden.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO ist die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn der Schuldner während des Insolvenzverfahrens Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten nach diesem Gesetz vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat.

b) Ob der Schuldner objektiv gegen eine Mitwirkungspflicht verstoßen hat, indem er als Erbe vom Konto seines verstorbenen Vaters 8.000 Euro abgehoben und für eigene Zwecke verbraucht hat, kann dahinstehen. Der Schuldner beruft sich insoweit darauf, gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO nur verpflichtet gewesen zu sein, die Erbschaft zur Hälfte ihres Wertes an den Treuhänder herauszugeben. Jedenfalls hat der Schuldner den subjektiven Tatbestand des Versagungsgrundes in § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO insoweit nicht erfüllt.

aa) Für eine vorsätzliche Pflichtwidrigkeit des Schuldners bieten die Feststellungen des Landgerichts keinen Anhaltpunkt. Dessen Annahme, der Schuldner habe grob fahrlässig gehandelt, ist rechtsfehlerhaft.

Der Begriff der groben Fahrlässigkeit ist ein Rechtsbegriff. Die Feststellung der Voraussetzungen ist zwar tatrichterliche Würdigung und mit der Rechtsbeschwerde nur beschränkt angreifbar. Der Nachprüfung unterliegt aber, ob der Tatrichter den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (vgl. BGH, Urt. v. 8. Oktober 1991 – XI ZR 238/90, WM 1991, 1946, 1948; v. 29. September 1992 – IX ZR 265/91, NJW 1992, 3235, 3236). So liegt es hier.

bb) Der Verschuldensgrad der groben Fahrlässigkeit ist in § 290 InsO nicht definiert. Die Rechtsprechung versteht unter grober Fahrlässigkeit ein Handeln, bei dem die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt wurde, wenn ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseite geschoben wurden und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall sich jedem aufgedrängt hätte. Bei der groben Fahrlässigkeit handelt es sich um eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung (BGHZ 10, 12, 16; 89, 153, 161; BGH, Urt. v. 8. Oktober 1991, aaO; v. 29. September 1992, aaO; v. 13. Dezember 2004 – II ZR 17/03, NJW 2005, 981, 982; ebenso etwa MünchKomm-InsO/Stephan, § 290 Rn. 45).

Dem Schuldner ist mit dem Eröffnungsbeschluss ein – nicht bei den Akten befindliches – „Merkblatt zur Wohlverhaltensperiode“ zugestellt worden. Zum Inhalt des Merkblatts stellt das Amtsgericht in seinem Beschluss vom 5. Juli 2004 fest:

„Darin wird der Schuldner darauf hingewiesen, dass er über einen Zeitraum von sechs Jahren gerechnet ab dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestimmte Pflichten (Obliegenheiten) zu erfüllen hat. Danach werden die in § 295 InsO geregelten Pflichten aufgeführt, u.a. die Verpflichtung, von Todes wegen erworbenes Vermögen zur Hälfte des Wertes an den Treuhänder herauszugeben.“

Nach dem eindeutigen Inhalt des Merkblatts sollen die in § 295 InsO genannten Obliegenheiten des Schuldners mit dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einsetzen. Die Verpflichtung, Vermögen, das der Schuldner von Todes wegen erwirbt, (nur) zur Hälfte des Werts an den Treuhänder herauszugeben, wird ausdrücklich mit Bezug auf diesen Zeitpunkt erwähnt. Aus den weiteren Ausführungen des Amtsgerichts ergibt sich zudem, dass das Merkblatt zu § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO mit dem Hinweis schließt, der Schuldner könne die andere Hälfte (der Erbschaft) behalten. Wenn der Schuldner danach -wie er unwiderlegt geltend macht – der Auffassung war, er könne einen Betrag, der weit unter der Hälfte des Werts der im Erbgang erworbenen Guthabenforderung liegt, abheben und für sich verbrauchen, dann rechtfertigt dies nicht den Schluss, er habe hierbei schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall Jedermann einleuchten müsste.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts war der Schuldner auch nicht verpflichtet, bei dem Treuhänder oder dem Insolvenzgericht nachzufragen. Er durfte vielmehr davon ausgehen, dass das ihm vom Insolvenzgericht zugestellte Merkblatt die für ihn maßgebliche Rechtslage in einer für nicht juristisch vorgebildete Personen klaren und eindeutigen Weise erläutert. Allein dies entspricht dem Zweck eines die Gesetzeslage erklärenden, dem Bürger als Verhaltensmaßregel an die Hand gegebenen Merkblattes. Das Landgericht stellt nicht fest, dass dessen Fassung beim Schuldner Zweifel an „seiner irrigen Rechtsauffassung“ hätte wecken müssen.

3. Weitere Umstände, die die Anwendung des vom Landgericht angenommenen Versagungsgrundes nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO tragen könnten, sind dem angefochtenen Beschluss nicht zu entnehmen. Die Vorinstanz lässt ausdrücklich dahinstehen, ob eine Benachrichtigung des Treuhänders mit Schreiben vom 28. August 2003 noch rechtzeitig war. Dies kann auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstandes nicht verneint werden: Die Behauptung des Schuldners, dieses Schreiben an den Treuhänder, der den Zugang bestreitet, gesandt zu haben, ist in den Tatsacheninstanzen nicht widerlegt worden. In seiner Beschwerdebegründung hat sich der Schuldner darauf berufen, die Wohnungseinrichtung, deren Wert er auf ca. 40.000 ¤ geschätzt habe, alsbald nach dem Tod des Vaters an den Sohn der vorverstorbenen Lebensgefährtin herausgegeben zu haben. Mit der sofortigen Beschwerde hat er weiter geltend gemacht, erst am 26. August 2003 bei einem Gespräch mit der Sparkasse G. von dem Guthaben erfahren zu haben. Die materielle Feststellungslast für das Vorliegen des von ihm behaupteten Versagungsgrundes trägt der Gläubiger, hier also die Beteiligte zu 1 (vgl. BGHZ 156, 139, 147; BGH, Beschl. v. 21. Juli 2005 – IX ZB 80/04, WM 2005, 1858, 1859). Danach könnte von einer verspäteten Benachrichtigung des Treuhänders nicht ausgegangen werden. Allerdings ist die Gläubigerin zu dem Beschwerdevorbringen des Schuldners, soweit ersichtlich, nicht angehört worden.

4. Weitere, in § 290 Abs. 1 InsO aufgeführte Versagungsgründe hat die Beteiligte zu 1 nicht ausdrücklich geltend gemacht. Soweit ihr Vorbringen auch nach § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO zu würdigen sein sollte, fehlte es jedenfalls am subjektiven Tatbestand.

5. Mit der Aufhebung der Versagung der Restschuldbefreiung entfällt zugleich die Grundlage für die Aufhebung der Stundung der Verfahrenskosten gemäß § 4c Nr. 5 InsO.

6. Da die Sache mangels einer Anhörung der Gläubigerin zu dem Beschwerdevorbringen des Schuldners noch nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.

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Kommentar zu BGH Urt. v. 6 Oktober 2005 IX ZR 36/02

BGH Urt. v. 6 Oktober 2005 IX ZR 36/02
BGB §§ 133 A, 157 A; InsO § 259 Abs. 3 Satz 1
a) Regelungen in einem Insolvenzplan sind nach den allgemeinen Vorschriften auszulegen.
b) Die Klausel „§ 259 Abs. 3 InsO findet Anwendung“ im gestaltenden Teil des Insolvenzplans genügt in der Regel als Ermächtigung des Insolvenzverwalters, Anfechtungsrechtsstreitigkeiten auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens fortzuführen.
BGH, Urteil vom 6. Oktober 2005 – IX ZR 36/02 – OLG Jena, LG Erfurt

Problemstellung
Der klagende Insolvenzverwalter verlangt von der verklagten Transportgesellschaft, gestützt auf die Vorschriften der Insolvenzanfechtung, die Herausgabe einer größeren Menge von Fahrrädern. Die Beklagte, welche die Fahrräder transportieren sollte, beruft sich wegen ausstehender Frachtlöhne auf ein Pfandrecht nach § 464 HGB. Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe das Pfandrecht in anfechtbarer Weise erlangt, weil sie bei der Übernahme der Fahrräder ihre Leistungsbereitschaft nur vorgetäuscht habe.
Nachdem am 12. Dezember 2000 ein Insolvenzplan angenommen und gerichtlich bestätigt worden ist, hat das Insolvenzgericht am 19. Februar 2001 das Insolvenzverfahren aufgehoben. Nunmehr streiten die Parteien darüber, ob der Kläger berechtigt ist, den Anfechtungsprozess fortzuführen. Der Kläger beruft sich auf § 259 Abs. 3 InsO und eine Klausel in dem gestaltenden Teil des Insolvenzplans, die folgendermaßen lautet: „§ 259 Abs. 3 InsO findet Anwendung“.
Das Landgericht Erfurt hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil der Kläger durch die inhaltlich allzu unbestimmte Klausel nicht wirksam ermächtigt worden sei, den Anfechtungsrechtsstreit nach Beendigung seines Amtes fortzuführen. Demgegenüber hat das Berufungsgericht, dessen Urteil in ZIP 2002, 538 veröffentlicht ist, die Auffassung vertreten, der Kläger sei weiter prozessführungsbefugt, und die Sache an das Landgericht zur Entscheidung in der Sache zurückverwiesen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel hat im Wesentlichen keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, die im Insolvenzplan enthaltene Bestimmung, „§ 259 Abs. 3 InsO findet Anwendung“, habe dem Kläger die Befugnis verleihen sollen, einen im Zeitpunkt der Aufhebung des Insolvenzverfahrens anhängigen Rechtsstreit über eine Insolvenzanfechtung fortzuführen. Als privatrechtlicher Vertrag eigener Art sei der Insolvenzplan in zumindest entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB auszulegen. Die Klausel „§ 259 Abs. 3 InsO findet Anwendung“ ist so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte. Wenngleich es wünschenswert wäre, dass alle Regelungen im gestaltenden Teil eines Insolvenzplans klar, ohne weiteres verständlich und deshalb nicht auslegungsbedürftig abgefasst werden, kann daraus kein Auslegungsverbot hergeleitet werden, falls es im Einzelfall an dieser Klarheit fehlt. Unter solchen Umständen sind selbst generelle und abstrakte Anordnungen mit Normcharakter auszulegen, sofern sie überhaupt auslegungsfähig sind.
Art und Umfang der Auslegung haben sich dabei nach dem Wesen des Insolvenzplans zu richten. Der Insolvenzplan sei ein spezifisch insolvenzrechtliches Instrument, welches nicht als Vergleich angesehen werden könne. Zur Auslegung seiner Bestimmung finden jedoch die §§ 133, 157 BGB Anwendung.
Dabei verstößt die Auslegung der Klausel durch das Berufungsgerichts – so der Bundesgerichtshof – nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, für welchen der Empfängerhorizont maßgeblich ist. Eine Bestimmung in dem gestaltenden Teil des Insolvenzplans darf als Ermächtigung des Insolvenzverwalters zur Fortführung von Anfechtungsprozessen über die Beendigung seines Amts hinaus nur dann angesehen werden, wenn sie nach dem ungekünstelten Verständnis derjenigen, an die sich die Erklärung richtet – das sind die den Insolvenzplan beschließenden Gläubiger und allenfalls noch der Schuldner, der dem Insolvenzplan widersprechen kann (§ 247 Abs. 1 InsO), in diesem Sinne aufgefasst werden kann.
Wenn es in dem gestaltenden Teil eines Insolvenzplans heißt, „§ 259 Abs. 3 InsO findet Anwendung“, ist es den Personen, die über die Annahme des Plans zu entscheiden haben und nicht wissen, was in der genannten Gesetzesbestimmung steht, zuzumuten, diese nachzulesen. Die Betroffenen hatten ausreichend Gelegenheit, sich mit der Regelung des § 259 Abs. 3 InsO vertraut zu machen.
Durch eine lediglich abstrakt gefasste Ermächtigung an den Insolvenzverwalter zur Fortführung von Anfechtungsprozessen werden auch keine anderweitigen, schützenswerten Interessen der an einem Insolvenzplan Beteiligten verletzt.
Kommentar

Die Entscheidung ist zu begrüßen. Sie hat grundsätzliche Bedeutung für alle Regelungen in Insolvenzplänen, welche abstrakt auf Regelungen der §§ 217 bis 269 InsO verweisen. Diese sind dem Grunde nach zulässig. Dies gilt im konkreten Fall für den Passus „§ 259 Abs. 3 InsO findet Anwendung“, welche dem Insolvenzverwalter die Befugnis verleiht, auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Beendigung des Amtes (!) einen Insolvenzanfechtungsstreit gerichtlich fortzuführen. Dies wird (bislang) nicht nur – wie die beiden instanzgerichtlichen Entscheidungen des vorliegenden Verfahrens zeigen – in der Rechtsprechung sondern auch in der Literatur uneinheitlich beurteilt (dem ablehnenden LG Erfurt stimmen zu MünchKomm-InsO/Huber, § 259 Rn. 21 und Breutigam in Breutigam/Blersch/Goetsch, InsO § 259 Rn. 11; demgegenüber folgen dem Berufungsgericht Braun, InsO 2. Aufl. § 259 Rn. 7; ders. in Nerlich/Römermann, InsO Stand März 2005 § 259 Rn. 7; Michels EWiR 2002, 293; kritisch zum Urteil des LG Erfurt auch Neußner EWiR 2001, 1067; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch der Insolvenzordnung 3. Aufl. S. 1025).
Der Sache hat der BGH in der Tat die besseren Argumente, welche für die Zulässigkeit der abstrakten Verweisungen sprechen, auf seiner Seite. Die Vorschrift des § 259 Abs. 3 Satz 1 InsO erfordert nach Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck keine Regelung im Insolvenzplan, welche die Befugnis des Insolvenzverwalters zur Fortsetzung von Anfechtungsprozessen näher beschreibt. Nach früherem Recht erledigte sich ein von dem Konkursverwalter eingeleiteter, aber noch nicht rechtskräftig abgeschlossener Anfechtungsprozess (§§ 29 ff KO) mit der Aufhebung des Konkursverfahrens nach rechtskräftiger Bestätigung des Zwangsvergleichs (Kuhn/Uhlenbruck, KO 11. Aufl. § 192 Rn. 3; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze 17. Aufl. § 192 Anm. 2). Diese Rechtslage hat der Gesetzgeber der Insolvenzordnung als unbefriedigend empfunden, weil sie einen Anreiz für den Anfechtungsgegner schaffe, den Prozess zu verschleppen (Amtl. Begründung zu § 306 RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443 S. 214). Deshalb wurde mit § 259 Abs. 3 InsO die Möglichkeit geschaffen, im Insolvenzplan für den Insolvenzverwalter das Fortbestehen der Prozessführungsbefugnis vorzusehen. Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens begründet somit grundsätzlich kein rechtlich geschütztes Vertrauen darauf, den anfechtbar erworbenen Gegenstand endgültig behalten zu können.

Nicht ganz zu überzeugen vermögen dabei die Ausführungen zur Rechtsnatur des Insolvenzplans. Der BGH lehnt zunächst mit ausführlicher Begründung die sog. Vergleichstheorie ab und dann jedoch – nicht ganz plausibel – um dann festzustellen, dass Insolvenzpläne ebenso wie Vergleich nach den §§ 133, 157 BGB auszulegen seien.

Im Schrifttum wird dieser entweder als Vergleich im Sinne des § 779 BGB (Breutigam in Breutigam/Blersch/Goetsch, § 254 Rn. 13) oder als privatrechtlicher Vertrag eigener Art angesehen (Kübler/Prütting/Otte, InsO § 217 Rn. 65; wohl auch Uhlenbruck/Lüer, InsO 12. Aufl. § 254 Rn. 1: „rechtsgeschäftlicher Gesamtakt“, und Braun, aaO vor § 217 Rn. 1: „mehrseitige Verwertungsvereinbarung der Gläubiger“), oder es wird ihm eine Doppelnatur als gemischt materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher Vertrag beigemessen (so MünchKomm-InsO/Eidenmüller, § 217 Rn. 33 f). In jedem Falle seien die §§ 133, 157 BGB anwendbar (MünchKomm-InsO/Eidenmüller aaO Rn. 47; Uhlenbruck/Lüer, aaO § 254 Rn. 11; Breutigam in Breutigam/Blersch/Goetsch, § 254 Rn. 13). Höchstrichterliche Rechtsprechung lag bislang dazu noch nicht vor.
Nach dieser Entscheidung ist der Insolvenzplan nunmehr „ein spezifisch insolvenzrechtliches Instrument, mit dem die Gläubigergesamtheit ihre Befriedigung aus dem Schuldnervermögen organisiert“. Das sei nach der nicht überzeugenden Auffassung des Senats demnach kein Vergleich, weil die Gläubigergemeinschaft nicht aus freiem Willen zusammengefunden habe. Vielmehr ist die Gläubigergemeinschaft eine durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners zusammengefügte Schicksalsgemeinschaft, die keine Verträge im herkömmlichen Sinne schließen können.
Dagegen spricht jedoch, dass der Insolvenzplan nach den Gesetzesunterlagen „die privatautonome, den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Übereinkunft der mitspracheberechtigten Beteiligten über die Verwertung des haftenden Schuldnervermögens unter voller Garantie des Werts der Beteiligtenrechte“ ist (Allgem. Begründung zum RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443 S. 91).

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Behandlung sog. vorläufigen Bestreitens des Insolvenzverwalters von Tabellenforderungen

a) Auch der Insolvenzverwalter, der eine von einem Insolvenzgläubiger zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung lediglich „vorläufig“ bestreitet, löst die vom Gesetz an das Bestreiten geknüpften Rechtsfolgen aus (Anschluss an BAG ZIP 1988, 1587, 1589).

b) Wird die zunächst vorläufig bestrittene Forderung später zur Insolvenztabelle festgestellt und erklären die Parteien daraufhin übereinstimmend den zuvor vom anmeldenden Gläubiger aufgenommenen Rechtsstreit für erledigt, ist die Kostenentscheidung nach den zu § 93 ZPO entwickelten Grundsätzen zu treffen.

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS

IX ZB 160/04

vom
9. Februar 2006

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gero Fischer, die Richter Dr. Ganter, Cierniak, die Richterin Lohmann und den Richter Dr. Detlev Fischer

am 9. Februar 2006

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Ingolstadt vom 25. Juni 2004 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 650 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Mit seiner Klage machte der Kläger Gewährleistungsansprüche aus dem Kauf eines Sportbootes geltend. Während des Rechtsstreits wurde am 1. April 2003 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des ursprünglichen Beklagten (fortan: Schuldner) eröffnet und der nunmehrige Beklagte (fortan: Beklagter) zum Insolvenzverwalter bestellt. Das Prozessgericht stellte daraufhin die Unterbrechung des Rechtsstreits fest.

Der Kläger meldete seine Forderung zur Insolvenztabelle an. Im Prüfungstermin vom 26. Juni 2003 bestritt der Beklagte diese Forderung in voller Höhe. Das Insolvenzgericht erteilte dem Kläger unter dem 30. Juni 2003 einen beglaubigten Auszug aus der Tabelle. Ergänzend teilte ihm der Beklagte mit Schriftsatz vom 2. Juli 2003, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugegangen am 3. Juli 2003, als Grund des Bestreitens mit: „Gegenforderung besteht noch“. Daran schloss sich folgender Text an: „Sollte Ihre Forderung bestritten sein, gilt dies einstweilen als vorläufig. … Wenn Sie eine weitere Prüfung der von Ihnen angemeldeten Forderung wünschen, teilen Sie dies bitte schriftlich mit. Sollte ich nach Prüfung der Unterlagen die Forderung ganz oder teilweise anerkennen, werden Sie unmittelbar benachrichtigt.“ Im Weiteren wurde noch auf die Vielzahl der zu prüfenden Unterlagen und Rechte hingewiesen.

Mit Schriftsatz vom 9. Juli 2003 beantragte der Kläger, das Verfahren gegen den Beklagten fortzusetzen und diesen zu verurteilen, die Forderung zur Insolvenztabelle festzustellen. Später erkannte der Beklagte die Forderung an, die daraufhin zur Tabelle festgestellt wurde. Im Anschluss hieran erklärten die Parteien den Rechtsstreit für erledigt. Die in einem zeitweise mit dem vorliegenden Rechtsstreit verbundenen Prozess vom Schuldner eingeklagte Restkaufpreisforderung gab der Beklagte frei.

Das Amtsgericht hat die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt. Dessen sofortige Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig; sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat gemeint, der Beklagte habe die Forderung des Klägers lediglich vorläufig bestritten. Dies stehe zwar grundsätzlich einem endgültigen Bestreiten gleich. Gleichwohl treffe den Gläubiger die Obliegenheit, sich zu vergewissern, ob der Insolvenzverwalter sein Bestreiten aufrechterhalte, bevor er einen unterbrochenen Rechtsstreit wieder aufnehme.

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand.

a) Das Gesetz sieht nicht vor, dass der Insolvenzverwalter im Prüfungstermin (§ 176 InsO) eine angemeldete Forderung lediglich vorläufig bestreitet. Daher ist auch ein solches vorläufiges Bestreiten als ein Bestreiten im Sinne des § 179 Abs. 1 InsO anzusehen. Der Senat folgt insoweit der noch zu § 146 Abs. 1 Satz 1 KO ergangenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG ZIP 1988, 1587, 1589) und der sich daran anschließenden herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (OLG München WM 2005, 1859; LAG Niedersachsen NZA-RR 2004, 317; MünchKomm-InsO/Schumacher, § 178 Rn. 37; HK-InsO/Irschlinger, 4. Aufl. § 179 Rn. 4; Gottwald/Eickmann, Insolvenzrechtshandbuch 2. Aufl. § 64 Rn. 7; vgl. aber Smid, InsO 2. Aufl. § 178 Rn. 5). Die Insolvenzordnung hat die Regelung der Konkursordnung ohne inhaltliche Änderung übernommen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung BT-Drucks, 12/2443 S. 185). Demnach ist es für die Rechtsfolge des § 179 Abs. 1 InsO unerheblich, dass das ursprüngliche Bestreiten in der Tabelle nicht ausdrücklich als vorläufig gekennzeichnet wurde.

b) Hieraus folgt allerdings nicht, dass ein Insolvenzverwalter, der eine Forderung „vorläufig“ bestreitet, in jedem Fall genügenden Anlass zur Aufnahme eines unterbrochenen Rechtsstreits gemäß § 180 Abs. 2 InsO gibt. Diese Frage ist vielmehr unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles nach den zu § 93 ZPO entwickelten Grundsätzen zu beantworten. Das gilt auch, wenn die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklären, nachdem der Verwalter sein vorläufiges Bestreiten nicht mehr aufrecht erhalten und das Insolvenzgericht die Forderung gemäß § 178 Abs. 2 Satz 1 InsO zur Tabelle festgestellt hat. Denn der Grundgedanke des § 93 ZPO kann auch im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 91a ZPO herangezogen werden (OLG Düsseldorf ZIP 1994, 638; OLG München KTS 1987, 327, 329 f; WM 2005, 1859, 1860; OLG Karlsruhe ZIP 1989, 791, 792; OLG Dresden ZIP 1997, 327, 328; LG Bonn ZIP 2000, 1310 f; LG Aachen NZI 2002, 389, 390; Pape in Kübler/Prütting, InsO § 179 Rn. 7; MünchKomm-InsO/Schumacher, § 178 Rn. 37; HK-InsO/Irschlinger, aaO; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 179 Rn. 3; FK-InsO/Kießner, 3. Aufl. § 176 Rn. 23, § 179 Rn. 8; Kilger/Schmidt, Insolvenzgesetze 17. Aufl. § 146 KO Anm. 1a).

aa) Auch wenn der Verwalter sein Bestreiten in dem Prüfungstermin nicht wirksam als „vorläufig“ bezeichnen kann, macht er durch eine solche Erklärung deutlich, er bestreite die Forderung nur deshalb, weil er sich zu ihr noch nicht abschließend erklären könne. Das Gleiche gilt in dem hier gegebenen Fall, dass der Verwalter in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Prüfungstermin erklärt, bei seinem Widerspruch handele es sich um ein vorläufiges Bestreiten (vgl. Pape, aaO), und dieser Hinweis dem Gläubiger vor dessen Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens zugeht (so auch OLG Köln JurBüro 1995, 489, 490). In beiden Fällen weiß der Gläubiger, dass eine Feststellung seiner Forderung zur Tabelle noch möglich ist, mit der Folge, dass sich eine Fortsetzung des anhängigen, unterbrochenen Rechtsstreits erübrigt. Dann ist es ihm zuzumuten, sich beim Insolvenzverwalter zu vergewissern, ob dieser seinen Widerspruch aufrechterhält, bevor er den Rechtsstreit gemäß § 180 Abs. 2 InsO aufnimmt. Dies dient einer verfahrensökonomischen Erledigung des durch das „vorläufige“ Bestreiten eingetretenen Schwebezustands und verletzt keine anerkennenswerten Interessen des Gläubigers. Dieser kann dem Verwalter eine angemessene Frist zur abschließenden Entscheidung über die angemeldete Forderung setzen.

bb) Es kann hier offen bleiben, ob der Gläubiger auch ohne eine solche Rückfrage genügenden Anlass zur Aufnahme des unterbrochenen Rechtsstreits hat, wenn der Verwalter seine Prüfung der angemeldeten Forderung innerhalb einer angemessenen Überlegungsfrist nicht abschließt. Denn zwischen dem Zugang der Erklärung des Verwalters vom 2. Juli 2003 und dem Eingang des Schriftsatzes, mit dem der Kläger die Aufnahme des Rechtsstreits bei Gericht begehrte, lagen lediglich 6 Tage.

cc) Die Grundsätze des § 93 ZPO können nur in dem Zeitraum bis zur erstmaligen öffentlichen Bekanntmachung eines – vom Insolvenzverwalter zu erstellenden (§ 188 InsO) – Verteilungsverzeichnisses eingreifen, weil sich hieran eine Ausschlussfrist von zwei Wochen (§ 189 Abs. 1 InsO) für den Nachweis der Erhebung einer Feststellungsklage anschließt. Verstreicht diese Frist fruchtlos, wird die angemeldete Forderung des Gläubigers nicht bei der anstehenden Verteilung berücksichtigt (vgl. § 189 Abs. 3 InsO und LG Bonn aaO S. 1311).

dd) Danach hat das Landgericht im Ergebnis zutreffend geprüft, ob der Beklagte rechtzeitig im Sinne des § 93 ZPO eine abschließende Entscheidung über die Forderung des Klägers getroffen hat. Die Rechtsbeschwerde zeigt insoweit keinen durchgreifenden Rechtsfehler der Vorinstanz auf. Auch in dem hier zu entscheidenden Fall liegt ein „vorläufiges“ Bestreiten vor. Das hat das Landgericht in tatrichterlicher Auslegung des Schriftsatzes des Beklagten vom 2. Juli 2003 festgestellt (§ 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO). Der Umstand, dass sich der Schuldner vor der Unterbrechung des Rechtsstreits substantiiert gegen die Klageforderung zur Wehr gesetzt hat, ist insoweit unerheblich. Der beklagte Insolvenzverwalter selbst hat zwar in seinen Schriftsatz den Vermerk „Gegenforderung besteht noch“ aufgenommen. Daraus folgt für die vom Kläger zunächst eingeklagte und später zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung jedoch nichts. Denn hierbei handelt es sich um den von ihm nach Verrechnung mit der Restkaufpreisforderung des Schuldners verbleibenden, überschießenden und daher von der Gegenforderung nicht berührten Betrag; Anhaltspunkte für weitere Gegenforderungen des Schuldners sind nicht erkennbar und werden auch vom Kläger nicht geltend gemacht. Somit hat der Beklagte dem Kläger keinen Anlass gegeben, vernünftigerweise davon auszugehen, er werde ohne die Aufnahme des Rechtsstreits nicht erreichen, dass der Beklagte seinen Widerspruch aufgebe.

ee) Die Rechtsbeschwerde wendet sich zu Recht nicht gegen die Annahme der Vorinstanzen, der Beklagte habe die Feststellung der Forderung des Klägers zur Tabelle „sofort“ im Sinne des § 93 ZPO herbeigeführt. Bis zur übereinstimmenden Erledigungserklärung galt das Mündlichkeitsprinzip (§ 128 Abs. 1 und 3 ZPO). Daher konnte der Beklagte die Wirkung des § 93 ZPO bis zur Stellung der Sachanträge herbeiführen (vgl. OLG München KTS 1987, 327, 328; OLG Hamm ZInsO 1999, 352; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO 27. Aufl. § 93 Rn. 9).

c) Die Vorinstanzen haben dem Kläger zu Recht die gesamten Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Dies gilt auch für die Zeit vor der Unterbrechung durch das Insolvenzverfahren. Die Kosten eines gemäß § 180 Abs. 2 InsO aufgenommenen Rechtsstreits können nicht danach aufgeteilt werden, ob sie vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind; sie sind vielmehr einheitlich zu behandeln (vgl. OLG München KTS 1987, 327, 330; OLG Karlsruhe ZIP 1989, 791, 792; OLG Düsseldorf ZIP 1994, 638, 639; OLG Dresden ZIP 1997, 327, 328).

Dr. Kristof Biehl
Rechtsanwalt

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OVG Bautzen zur Altlastproblematik in Insolvenzverfahren

Ordnungsrechtliche Verantwortung des Verwalters für Altlasten in der Insolvenz, Freigabeerklärung

GesO § 8 Abs. 2; KrW-/AbfG § 36 Abs. 2

1. Eine ordnungsrechtliche Inanspruchnahme von Gesamtvollstreckungs- oder Insolvenzverwaltern für Störungen, die von der Masse ausgehen, kommt nur insoweit in Betracht, als die Tatbestandsmerkmale der jeweiligen Eingriffsname in der Person des Gesamtvollstreckungs- bzw. Insolvenzverhaltens vorlägen (wie BVerwG, Urt. v. 23.9.2004, BVerwGE 122, 75).
2. Nachsorgeanordnungen i.S.v. § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG sind stets an den (letzten) Inhaber oder Betreiber einer Deponie zu richten.
3. Liegt keine förmliche Zulassungsentscheidung zum Betrieb einer Deponie vor, so kann das vollständige und dauerhafte Ausbleiben faktischer Betriebshandlungen des Inhabers zur Annahme einer Stilllegung auswirken. Dies gilt auch dann, wenn es ohne Zustimmung des Inhabers zu „wilden“ Ablagungen von Abfällen durch Dritte gekommen ist (Abweichung von der Rechtsprechung des vormals zuständigen 1. Senats des SächsOVG).
OVG Sachsen, Urteil vom 18.10.2005 – 4 B 271/02

Problemstellung:

Der Kläger ist Gesamtvollstreckungsverwalter über das Vermögen einer GmbH in Liquidation. Er wendet sich gegen eine zwangsgeldbewehrte Nachsorgeanordnung für eine seit etwa 1900 genutzte Betriebsdeponie der Insolvenzschuldnerin.

Die GmbH hatte ihre Produktion sowie die weitere Ablagerung von Abfällen auf der Betriebsdeponie zum September 1993 eingestellt. Mit Beschluss vom 30.11.1993 eröffnete das Amtsgericht Dresden das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der GmbH und bestellte den Kläger zum Gesamtvollstreckungsverwalter. In der Folgezeit kam es ohne Zustimmung des Klägers oder der GmbH i.L. zu „wilden“ Ablagerungen von Hausmüll, Schrott und Industrieabfällen im Bereich der Deponie.

Der Liquidator der Insolvenzschuldnerin hatte mit einem an das Regierungspräsidium Dresden gerichteten, unter dem Briefkopf der GmbH verfassten Schreiben vom 13.2.1995 die beabsichtigte Stilllegung der Deponie „gemäß § 10a Abfallgesetz“ angezeigt. In diesem Schreiben, das nach den Ausführungen des Liquidators „in Abstimmung“ mit dem Kläger erfolgte, wurde u. a. darauf hingewiesen, dass die Deponie bereits seit dem „30.11.1993“ stillgelegt sei.

Nachdem das damalige Staatliche Umweltfachamt Radebeul in einer Stellungnahme vom Juli 1995 darauf hingewiesen hatte, dass die Stilllegungsanzeige unvollständig und der Deponieboden nur unzureichend gegen Versickerungen geschützt sei, hörte das seinerzeit zuständige Landratsamt Riesa-Großenhain den Kläger im September 1995 zum Erlass einer Anordnung nach § 10 Abs. 2 AbfG an und wies darauf hin, dass die Betriebsdeponie keinen Bestandsschutz genieße, da sie weder nach dem Recht der DDR genehmigt worden sei noch eine Altanlagenanzeige nach § 9 a Abs. 2 AbfG vorliege. Im September 1996 forderte das zwischenzeitlich zuständig gewordene Regierungspräsidium Dresden den Kläger unter Hinweis auf das vorangegangene Schreiben des Landratsamts erneut zur Stellungnahme auf.

Mit einem an den Liquidator gerichteten Schreiben vom 23.10.1996 gab der Kläger das „Deponiegelände“ aus der Gesamtvollstreckungsmasse frei und wies darauf hin, dass der Liquidator für die weitere Verwaltung und ggf. auch wirtschaftliche Verwertung der Deponie zuständig sei. Die erfolgte Freigabe teilte der Kläger dem Regierungspräsidium Dresden mit Schreiben vom 25.10.1996 mit.

Nachdem sich der Liquidator gegen eine behördliche Inanspruchnahme verwahrt und der Kläger auf die für eine Deponiesanierung unzureichende Masse hingewiesen hatte, erließ das Regierungspräsidium Dresden einen zwangsgeldbewehrten Bescheid gegenüber dem Kläger, durch den die weitere Ablagerung von Abfällen auf der Deponie untersagt (Nr. 1) sowie die Errichtung einer Grundwassermessstelle (Nr. 2) und die Entnahme sowie die Untersuchung von Wasserproben (Nr. 3) angeordnet wurde. In Vorbereitung der zugleich angeordneten Abschlussplanung für die Sicherung und Rekultivierung (Nr. 5) wurden dem Kläger mehrere näher bezeichnete Untersuchungen sowie Vermessungen im Bereich der Deponie auferlegt (Nr. 4). Zur Begründung des auf § 21 Abs. 2 und § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG gestützten Bescheids führte das Regierungspräsidium im Wesentlichen aus, der Kläger sei als Gesamtvollstreckungsverwalter für den ordnungsgemäßen Deponieabschluss verantwortlich und könne sich seinen ordnungsrechtlichen Verpflichtungen nicht durch die Freigabe von Vermögensgegenständen entziehen.

Der Widerspruch und eine Anfechtungsklage des Klägers vor dem Verwaltungsgericht Dresden hiergegen blieben in der Sache ohne Erfolg. Der Kläger wandte sich daher im Wege der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts.

Dieses hatte die Klageabweisung damit begründet, dass gemäß § 21 Abs. 1 KrW-/AbfG die zuständige Behörde im Einzelfall die erforderlichen Anordnungen zur Durchführung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes haben treffen können, weil sie Kenntnis von der tatsächlichen Stilllegung erlangt habe und der Klägers bei Erlass der Anordnung Inhaber der Deponie gewesen sei. Denn mit der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens sei die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die zum Vermögen der GmbH gehörende Deponie auf den Kläger übergegangen; ansonsten hätte er auch keine Stilllegung veranlassen können. Ein Gesamtvollstreckungsverwalter sei selbst im Fall einer sofortigen Stilllegung für die weitere Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Pflichten aus einem Deponiebetrieb verantwortlich. Für seine Inanspruchnahme reiche es aus, dass die Gemeinschuldnerin die Deponie vor Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens betrieben habe.

Der Kläger macht hiergegen geltend, nie Inhaber oder Betreiber der Deponie i.S.v. § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG gewesen zu sein, da dies eine noch betriebene – also nicht stillgelegte – Deponie voraussetze. Dies folge schon aus § 36 Abs. 1 KrW-/AbfG, der den Inhaber verpflichte, die „beabsichtigte“ Stilllegung unverzüglich anzuzeigen. Entscheidend für die Betreiberstellung sei neben der tatsächlichen Verfügungsgewalt auch die Wahrnehmung der Betriebsführung. Eine solche habe der Kläger weder vor noch nach Erlass des angefochtenen Bescheids ausgeübt. Die „wilden“ Ablagerungen Dritter im Bereich der Deponie seien nicht geeignet, eine Betreiberstellung des Klägers für die bereits stillgelegte Anlage zu begründen. Solche Ablagerungen begründeten ggf. eine Ordnungspflichtigkeit als Zustandsstörer, nicht jedoch als Verhaltensstörer. Das Ausbleiben illegaler Ablagerungen durch Dritte sei auch kein taugliches Kriterium für eine Unterscheidung zwischen stillgelegten und nicht stillgelegten Deponien. Entscheidend sei vielmehr der aus den objektiven Umständen erkennbare Wille, die weitere bestimmungsgemäße Nutzung der Betriebsdeponie dauerhaft zu beenden.

Da sowohl § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG als auch § 5 Abs. 3 BImSchG eine verhaltensbezogene Pflichtenstellung begründeten, könne ein Gesamtvollstreckungsverwalter nach diesen Vorschriften nur dann in Anspruch genommen werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen in seiner Person erfüllt seien. Bei bereits stillgelegten Anlagen sei dies nur dann der Fall, wenn der Verwalter den Anlagenbetrieb wieder aufgenommen habe. Daran fehle es hier.

Der Kläger war weiterhin der Ansicht, auch nicht Zustandsstörer zu sein, da durch seine Freigabeerklärung vom 23.10.1996 die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Deponie an die GmbH zurückgefallen sei. Dementsprechend schließe die mehr als ein Jahr vor Erlass des Ausgangsbescheids erklärte Freigabe des Deponiegeländes eine ordnungsrechtliche Inanspruchnahme des Klägers insgesamt aus. Eine damit verbundene „Überwälzung“ von Sanierungskosten auf die Allgemeinheit müsse nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hingenommen werden.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:

Das Sächsische Oberverwaltungsgericht hat der Berufung des Klägers stattgegeben.

Es geht davon aus, dass die einzig in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage für eine Inanspruchnahme des Klägers in § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG zu sehen ist, der die Anordnung von im Interesse einer gemeinwohlverträglichen Abfallentsorgung gebotenen Nachsorgemaßnahmen umfassend regele.

§ 36 Abs. 2 KrW-/AbfG läßt nur Anordnungen gegenüber dem „Inhaber einer Deponie“ zu. Inhaber oder Betreiber einer Deponie i.S.v. § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG könne nur derjenige sein, der sowohl die rechtliche Verfügungsgewalt über die Anlage innehabe als auch die tatsächliche Betriebsführung der Deponie wahrnehme. Sei eine Anlage nacheinander von mehreren Inhabern betrieben worden, so sei nach dem Normzweck des § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG stets der letzte Deponiebetreiber heranzuziehen, also derjenige, der bei Bekundung der Stilllegungsabsicht (§ 36 Abs. 1 KrW-/AbfG) oder im Zeitpunkt der tatsächlichen dauernden Stilllegung die Betreiberstellung innehatte. Vorgänger des letzten Inhabers könnten nicht nach § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG, sondern nur nach Maßgabe anderer ordnungsrechtlicher Vorschriften – etwa als Verhaltens- oder Zustandsstörer – herangezogen werden.

Nach diesen Grundsätzen scheidet eine Inanspruchnahme des Klägers aus, weil er die Deponie zu keinem Zeitpunkt selbst betrieben habe. Die vom Kläger mit Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens erlangte Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die zum Vermögen der GmbH gehörende Betriebsdeponie sowie deren Besitz reichten zur Begründung einer Betreiberstellung nicht aus, weil neben der – bis zur erfolgten Freigabe ohne weiteres gegebenen – rechtlichen Verfügungsmacht über die Deponie auch eine tatsächliche Betriebsführung durch den Kläger erforderlich gewesen wäre.

Daran habe es hier gefehlt, da er mit der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens die zuvor von der GmbH bereits (faktisch) dauerhaft stillgelegte Deponie übernommen habe, ohne einen erneuten Deponiebetrieb in der Folgezeit aufgenommen oder dies auch nur beabsichtigt zu haben. Liege keine förmliche Zulassungsentscheidung zum Betrieb einer Abfalldeponie vor, reiche jedenfalls das vollständige und dauerhafte Ausbleiben jeglicher faktischen Betriebshandlungen des Inhabers zur Annahme einer Stilllegung aus.

An dieser Beurteilung ändere sich weder etwas dadurch, dass die Stilllegungsanzeige des Liquidators vom 13.2.1995 „in Abstimmung“ mit dem Kläger erfolgt sei, noch dadurch, dass zwischen der faktischen Deponiestilllegung im Herbst 1993 und der Stilllegungsanzeige vom Februar 1995 ein Zeitraum von deutlich mehr als einem Jahr verstrichen ist. Eine Inhaber- oder Betreiberstellung des Klägers lasse sich auch nicht daraus ableiten, dass es nach der faktischen Stilllegung der Deponie zu „wilden“ Ablagerungen von Abfällen im Bereich der Deponie gekommen ist. Denn diese Ablagerungen erfolgten nicht etwa auf Veranlassung des Klägers oder der GmbH oder mit deren Billigung, sondern wurden gegen den Willen der Genannten illegal von Dritten vorgenommen. Die ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit eines Deponiebetreibers oder eines Grundstückseigentümers in Fällen dieser Art beschränke sich darauf, die ungenehmigten Ablagerungen zu beseitigen, umfasse aber nicht zugleich die Sanierungsverantwortung für eine über Jahrzehnte hinweg anderweitig genutzte Betriebsdeponie. Dies trage der von Verfassungs wegen gebotenen Begrenzung der Zustandsstörerhaftung durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung.

Soweit sich der 1. Senat (Beschl. v. 15.10.1999, aaO) darüber hinaus auf den Standpunkt gestellt hat, ein Gesamtvollstreckungsverwalter könne jedenfalls als Zustandsstörer für die Erfüllung der Pflichten aus § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG herangezogen werden, vermochte sich der erkennende Senat dem ebenso wenig anzuschließen. Eine ordnungsrechtliche Inanspruchnahme von Gesamtvollstreckungs- oder Insolvenzverwaltern für Störungen, die von der Masse ausgehen, komme nur insoweit in Betracht, als die Tatbestandsmerkmale der jeweiligen Eingriffsnorm in der Person des Gesamtvollstreckungsverwalters vorlägen. Da § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG nicht lediglich an die Verfügungsmacht über eine Deponie, sondern – insoweit mit §§ 5, 22 BImSchG vergleichbar – an die Stellung als Anlagenbetreiber anknüpft, reichten die Verfügungsbefugnis und der Besitz über ein Deponiegelände zur Inanspruchnahme nach § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG nicht aus. Ebenso wenig könne der Kläger als Rechtsnachfolger der in Gesamtvollstreckung befindlichen GmbH herangezogen werden.

Eine Inanspruchnahme des Klägers zur Durchführung der angeordneten Maßnahmen scheide schließlich auch aufgrund der Freigabeerklärung des Klägers aus. Denn diese hat nach Ansicht des Senats zur Folge, dass selbst eine bestehende Ordnungspflicht des Klägers aus § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG entfallen wäre.

Denn der Senat hält die Freigabe von Massegegenständen durch den Gesamtvollstreckungsverwalter auch bei kontaminierten Gegenständen für zulässig und für das Ordnungsrecht grundsätzlich für beachtlich. Die grundsätzliche Beachtlichkeit der Freigabeerklärung schließe es zwar nicht aus, dass eine solche Erklärung wegen der Tatbestandsmerkmale, an die die Ordnungspflicht anknüpfe, ordnungsrechtlich ins Leere gehen könne oder dass der Gesetzgeber ihr gezielt die ordnungsrechtlichen Wirkungen nehme. Ob einer dieser Fälle vorliege, sei jedoch durch Auslegung des jeweiligen Ordnungsrechts zu ermitteln.

Da das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz keine ausdrückliche Regelung dieser Frage enthält, hat der Senat darauf abgestellt, ob eine Freigabeerklärung mit dem Normzweck des § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG – der Inanspruchnahme des letzten Deponiebetreibers für erforderliche Nachsorgemaßnahmen – vereinbar ist. Dies wäre nach Ansicht des Senats selbst dann zu bejahen gewesen, wenn das bloße „Liegenlassen“ einer Deponie zur Begründung einer Betreiberstellung ausreichen würde. Denn in diesem Fall hätte die Freigabe zur Folge gehabt, dass die durch den Liquidator vertretene GmbH i.L., die in der Deponie nach erfolgter Freigabe ebenso wenig Betriebshandlungen vorgenommen habe, als letzte Deponiebetreiberin anzusehen und nach § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG ordnungspflichtig wäre. Dass die GmbH i.L. mangels finanzieller Mittel zur Durchführung der angeordneten Maßnahmen nicht in der Lage sei, rechtfertige allein noch keine andere Beurteilung der Rechtslage.

Kommentar:

Begrüßenswert ist die Feststellung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, dass eine Freigabeerklärung des Gesamtvollstreckungsverwalters/Insolvenzverwalters grundsätzlich auch im öffentlichen Recht beachtlich ist.

Diese Feststellung wird im Weiteren jedoch dadurch relativiert, dass die rechtliche Wirkung der Freigabe von den Vorgaben der jeweiligen ordnungsrechtlichen Ermächtigungsnorm abhängig ist. Eine ordnungsrechtliche Verpflichtung greift danach nur, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm auch in der Person des Verwalters vorliegen. Dies bedeutet, dass ein Verwalter sich nicht darauf verlassen kann, durch eine Freigabeerklärung allein eine Beschränkung der öffentlich-rechtlichen Haftung zu erreichen. Zwar wird eine Haftung nach dem jeweiligen bereichsspezifischen Ordnungsrecht oftmals ausgeschlossen sein, solange der Verwalter – wie im vorliegenden Fall – selbst nicht aktiv tätig wird. Die Möglichkeit der Betriebsfortführung ist ihm jedoch dadurch von vornherein verschlossen.

Das Urteil knüpft an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an, wonach allein nach dem Ordnungsrecht zu bestimmen ist, ob den Gesamtvollstreckungsverwalter/Insolvenzverwalter eine Ordnungspflicht für eine Störung trifft, die von einem Massegegenstand ausgeht. Der Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH, der in der Insolvenzeröffnung eine Zäsur für die Bewertung einer Sanierungspflicht als Masseverbindlichkeit sieht, bleibt damit auch weiterhin bestehen.

Dr. Kristof Biehl
Rechtsanwalt

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Zur Absichtsanfechtung einer Aufrechnungslage

BGH Urt. v. 22. April 2004 IX ZR 370/00

Zur Absichtsanfechtung einer Aufrechnungslage / Gesamtvollstreckungsverfahren

Problemstellung:
Der Kläger ist Verwalter in dem am 11. November 1997 eröffneten Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der M. GmbH (im
folgenden auch: Schuldnerin). Die Schuldnerin war im Baugewerbe tätig. Der Beklagte arbeitete bei einer Anzahl von Bauvorhaben als ihr Subunternehmer.

Am 29. Juli 1997 beliefen sich seine offenen Werklohnforderungen aus diesen Subunternehmeraufträgen auf 120.313,93 DM.

Am 3. August 1997 verkaufte und übereignete die Schuldnerin dem Beklagten einen Mobilbagger, den sie anschließend zurückmietete. Der Kaufpreis von 80.500 DM war am 20. August 1997 fällig. Er wurde nicht bezahlt.

Der Aufforderung des Klägers, den Kaufpreis für den Mobilbagger zu entrichten, ist der Beklagte durch Aufrechnung mit Gegenforderungen entgegengetreten. Der Kläger hat behauptet, die Schuldnerin sei spätestens im Juli 1997 zahlungsunfähig gewesen. Dies habe der Beklagte gewusst. Er habe den Bagger lediglich erworben, um eine Sicherheit für seine Forderungen zu erhalten. Seine Aufrechnung sei deshalb nicht statthaft.

Die am 15. Januar 1999 erhobene Klage ist in den Tatsacheninstanzen ohne Erfolg geblieben.

Mit der Revision verfolgt der Kläger den geltend gemachten Kaufpreisanspruch weiter.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:
Der BGH legt fest, dass nach seiner Rechtsprechung die Gläubiger benachteiligende Wirkung, die mit der Herstellung einer Ausrechnungslage eintritt, insolvenzrechtlich selbständig angefochten werden kann. Wenn sich nämlich der Gläubiger durch eine Rechtshandlung zugleich in eine Schuldnerstellung gegenüber dem Schuldner versetzt und so die Vorraussetzung für eine Aufrechnung begründet, wird die erklärte Aufrechnung durch Anfechtung wirkungslos. Die Forderung des Schuldners ist folglich nach wie vor durchsetzbar. Die Aufrechnungslage ist unabhängig von der insolvenzrechtlichen Zulässigkeit der Aufrechnung anfechtbar. Im vorliegenden Fall hat der Kläger die Herstellung der Aufrechnungslage im Sinne von § 10 Abs. 2 GesO rechtzeitig angefochten, nämlich innerhalb von 2 Jahren. Die Vorraussetzung der Absichtsanfechtung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO liegen nach Auffassung des BGH vor. Der Verkauf war Gläubiger benachteiligend, denn die Gläubiger des Schuldners haben keinen verwertbaren Kaufpreisanspruch gegen den Beklagten erhalten. Es lag auch eine Benachteiligungsabsicht des Schuldners und entsprechender Kenntnis des Beklagten hiervon vor. Dabei liegt im vorliegenden Fall ein inkongruentes Geschäft vor, welches ein starkes Beweisanzeichen für das Vorliegen eines solchen Vorsatzes des Schuldners und der Kenntnis des Beklagten hiervon ist. Dem Beklagten waren die Kenntnis und Tatsachen bekannt, die auf die Inkongruenz des Geschäfts hinwiesen. Das Geschäft war dabei inkongruent, weil der Beklagte keinen Anspruch darauf hatte, seine Forderungen durch Aufrechnung zu befriedigen.

Kommentar:

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist zu begrüßen. Sie stellt unmissverständlich klar, dass nunmehr auch die Aufrechnungslage anfechtbar ist, wenngleich die Aufrechnung insolvenzrechtlich im Sinne von § 7 Abs. 5 GesO zulässig ist. Die Entscheidung hat Bedeutung auch für die aktuelle Rechtsprechung nach der Insolvenzordnung, für die die gleichen Grundsätze gelten. Die Entscheidung reiht sich damit in die jüngere Rechtssprechung ein (vgl. BGHZ 145, S.245, 254, BGH Urteil vom 4. Oktober 2000 IX ZR 207 90, WM 2001, S. 22 108, 22 109 f. zu § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO). Zutreffend stellt das Gericht darauf ab, dass die Gläubigergemeinschaft keinen verwertbaren Vermögensgegenstand für die Übereignung des Mobilbaggers erhalten hat. Vielmehr wurde der Sache nach eine Insolvenzforderung des Beklagten durch die Übergabe des Mobilbaggers beglichen. Das ist unzulässig, weil im Zeitpunkt der Krise bereits der Gleichbehandlungsgrundsatz der Insolvenzgläubiger gilt, der durch die Insolvenzanfechtungsvorschriften, nunmehr §§ 109 ff. InsO, gesichert werden soll. Das Berufungsgericht freilich konnte diese Rechtsprechung noch nicht berücksichtigen, weil vorgenannte zitierte jüngere Entscheidungen des Bundesgerichtshofes erst nach Verkündung des Berufungsurteils ergangen sind.

Dr. Kristof Biehl
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Bundesverfassungsgericht regelt Praxis der Bestellung von Insolvenzverwaltern

Zum Rechtsschutz bei der Vorauswahl von Insolvenzverwaltern durch das Gericht
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Bei der Bewerbung um eine Tätigkeit im Rahmen von Insolvenzverfahren
muss jeder Bewerber eine faire Chance erhalten, entsprechend seiner
gesetzlich vorausgesetzten Eignung in Erwägung gezogen zu werden. Die
Chancengleichheit der Bewerber ist gerichtlich überprüfbar. Dies
entschied die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts
in den Verfassungsbeschwerdeverfahren (Vb) zweier Rechtsanwälte
(Beschwerdeführer; Bf), die sich erfolglos um Zugang zu dem Bewerberpool
bemüht hatten, aus dem Insolvenzverwalter vom Richter ausgewählt werden.
Die entgegenstehenden Entscheidungen zweier Oberlandesgerichte (OLG)
wurden unter Zurückverweisung aufgehoben, weil sie die Bf in ihrem
Grundrecht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verletzen.

1. Zum Sachverhalt:
Nach der Insolvenzordnung ist zum Insolvenzverwalter eine für den
jeweiligen Einzelfall geeignete Person zu bestellen. Zuständig für das
Eröffnungsverfahren einschließlich der Entscheidung über den
Eröffnungsantrag und die Person des Verwalters ist der Amtsrichter. Wie
er sich einen Überblick über den in Frage kommenden Personenkreis
verschafft, regelt die Insolvenzordnung nicht. Die vorliegenden
Verfahren betreffen nicht die Bestellung eines Insolvenzverwalters,
sondern das vorangehende Vorauswahlverfahren des Gerichts und welchen
Rechtsschutz es im Hinblick auf diese Entscheidung gibt. Bei der
Vorauswahl ist zu entscheiden, ob ein Bewerber um die Bestellung als
Insolvenzverwalter in den Kreis derjenigen Personen aufgenommen wird,
aus dem der Richter im Einzelfall die Person auswählt, die nach seiner
Meinung den Anforderungen der Insolvenzordnung an einen
Insolvenzverwalter am ehesten entspricht.
In beiden Ausgangsverfahren wurde den Bf, die sich vergeblich um
Bestellung zum Insolvenzverwalter bemüht hatten, durch den
Insolvenzrichter mitgeteilt, dass derzeit kein Anlass bestehe, den Kreis
der regelmäßig eingesetzten Verwalter zu erweitern. Die OLG hielten die
Mitteilungen der Insolvenzrichter für nicht justiziabel. Beide Bf rügen
mit ihren Vb die Verletzung von Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art.
19 Abs. 4 GG. Die Nichtberücksichtigung ihrer Bewerbungen verstoße gegen
das Recht auf gleichen Zugang zum Amt des Insolvenzverwalters.

2. Aus den Gründen der Entscheidung geht hervor:
Die Entscheidungen der OLG verweigern den Bf einen wirksamen Schutz
gegen einen Eingriff der öffentlichen Gewalt in ihre
verfassungsrechtlich geschützte Berufsfreiheit.
Die Entscheidung im Vorauswahlverfahren ist kein Rechtsprechungsakt. Sie
befindet über den Kreis potentieller Insolvenzverwalter ohne Verbindung
zu einem konkreten Insolvenzverfahren. Rechtlich stehen die Vorauswahl
und die schließliche Auswahlentscheidung nebeneinander. Die Vorprüfung
mit dem Ergebnis der grundsätzlichen Eignung eines bestimmten Bewerbers
eröffnet diesem eine Chance, im Zuge künftiger Anträge auf Eröffnung von
Insolvenzverfahren zu Sachverständigen, Treuhändern, Sachwaltern oder
Insolvenzverwaltern bestellt zu werden.
Ein insoweit abgelehnter Bewerber wird in seinen Rechten aus Art. 12
Abs. 1 GG berührt. Da die Verwirklichung der Grundrechte auch eine dem
Grundrechtsschutz angemessene Verfahrensgestaltung erfordert, muss ein
der Bedeutung des Grundrechts der Berufsfreiheit entsprechendes
Verfahren in der Bewerbung um ein öffentliches Amt gewährleisten, dass
tatsächlich von allen potentiellen Bewerbern derjenige gefunden wird,
der am ehesten den gesetzlichen Anforderungen entspricht.
Bei der Bewerbung um eine nur hoheitlich zu vergebende Tätigkeit im
Rahmen von Insolvenzverfahren muss für jeden Bewerber im Rahmen seiner
Eignung Chancengleichheit bestehen. Die Betätigung als
Insolvenzverwalter hat sich zu einem eigenständigen Beruf entwickelt.
Insoweit hat sich ein neuer „Markt“ für Rechtsanwälte, Steuerberater und
Kaufleute gebildet. Ein Übergehen bei der Bestellungsentscheidung
berührt die Berufsfreiheit schon deshalb, weil der Beruf des
Insolvenzverwalters nur auf Grund der Zuteilung durch einen Träger
öffentlicher Gewalt wahrgenommen werden kann. Die Vorauswahl geeigneter
Bewerber bereitet diese Entscheidung maßgeblich vor. Dem Richter steht
zwar bei der Insolvenzverwalterbestellung ein weites Auswahlermessen zu.
Eine Chance auf eine Einbeziehung in ein konkret anstehendes
Auswahlverfahren und damit auf Ausübung des Berufs hat ein potentieller
Insolvenzverwalter aber nur bei willkürfreier Einbeziehung in das
Vorauswahlverfahren. Insoweit unterliegt der Richter der Bindung des
Art. 3 Abs. 1 GG. Es geht um die Eröffnung von Chancen in einem
Wirtschaftssektor, zu dem die Entscheidung eines Amtsrichters die Tür
öffnet. Allein die gerichtliche Überprüfbarkeit der Frage, ob bei der
Vorentscheidung die Chancengleichheit der Bewerber gewahrt wurde,
gewährleistet insoweit die Beachtung subjektiver Rechte der Bewerber.
Dieses ist so bedeutsam, weil der Richter wegen der Eilbedürftigkeit der
Bestellungsentscheidung eines Rahmens bedarf, wenn er die Auswahl für
ein konkretes Insolvenzverfahren trifft. Die Belange der Gläubiger
stehen einer verfahrensmäßigen Absicherung der Berufsinteressen
geeigneter Insolvenzverwalter nicht entgegen; die Gläubiger sind gerade
auf solche Personen angewiesen. Aus ihrer Sicht muss lediglich vermieden
werden, dass Konflikte um die Auswahl eines geeigneten Bewerbers das
Insolvenzverfahren verzögern oder auf andere Weise belasten. Der
Rechtsschutz für die Bewerber soll auch effektiv sein und der
Bevorzugung bekannter und bewährter Berufstätiger entgegenwirken, wenn
die öffentliche Hand die Verantwortung für den Marktzugang übernimmt.
Wirksame gerichtliche Kontrolle setzt voraus, dass auch in Verfahren mit
geringer Kontrolldichte und einem der Sache nach unvermeidbaren Mangel
an überprüfbaren Unterlagen ein Mindestmaß an Rechtsschutz gewährleistet
wird. Auch Ermessensentscheidungen können hinsichtlich der Maßstäbe,
insbesondere der zu berücksichtigenden tatsächlichen Gesichtspunkte und
der für maßgeblich erachteten Kriterien für die Eignung von Bewerbern,
überprüft werden. An die Insolvenzverwalter werden ganz unterschiedliche
Anforderungen gestellt je nach dem, wer insolvent geworden ist. Ob die
Richter auf den verschiedenen Auswahlebenen diesen Kriterien der
Eignungsfeststellung gerecht werden, ist überprüfungsfähig und –
bedürftig.

Beschluss vom 3. August 2004 – 1 BvR 135/00 und 1 BvR 1086/01 –

Dr. Kristof Biehl
Rechtsanwalt

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