Kommentar zu BGH Urt. v. 6 Oktober 2005 IX ZR 36/02
BGH Urt. v. 6 Oktober 2005 IX ZR 36/02
BGB §§ 133 A, 157 A; InsO § 259 Abs. 3 Satz 1
a) Regelungen in einem Insolvenzplan sind nach den allgemeinen Vorschriften auszulegen.
b) Die Klausel „§ 259 Abs. 3 InsO findet Anwendung“ im gestaltenden Teil des Insolvenzplans genügt in der Regel als Ermächtigung des Insolvenzverwalters, Anfechtungsrechtsstreitigkeiten auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens fortzuführen.
BGH, Urteil vom 6. Oktober 2005 – IX ZR 36/02 – OLG Jena, LG Erfurt
Problemstellung
Der klagende Insolvenzverwalter verlangt von der verklagten Transportgesellschaft, gestützt auf die Vorschriften der Insolvenzanfechtung, die Herausgabe einer größeren Menge von Fahrrädern. Die Beklagte, welche die Fahrräder transportieren sollte, beruft sich wegen ausstehender Frachtlöhne auf ein Pfandrecht nach § 464 HGB. Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe das Pfandrecht in anfechtbarer Weise erlangt, weil sie bei der Übernahme der Fahrräder ihre Leistungsbereitschaft nur vorgetäuscht habe.
Nachdem am 12. Dezember 2000 ein Insolvenzplan angenommen und gerichtlich bestätigt worden ist, hat das Insolvenzgericht am 19. Februar 2001 das Insolvenzverfahren aufgehoben. Nunmehr streiten die Parteien darüber, ob der Kläger berechtigt ist, den Anfechtungsprozess fortzuführen. Der Kläger beruft sich auf § 259 Abs. 3 InsO und eine Klausel in dem gestaltenden Teil des Insolvenzplans, die folgendermaßen lautet: „§ 259 Abs. 3 InsO findet Anwendung“.
Das Landgericht Erfurt hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil der Kläger durch die inhaltlich allzu unbestimmte Klausel nicht wirksam ermächtigt worden sei, den Anfechtungsrechtsstreit nach Beendigung seines Amtes fortzuführen. Demgegenüber hat das Berufungsgericht, dessen Urteil in ZIP 2002, 538 veröffentlicht ist, die Auffassung vertreten, der Kläger sei weiter prozessführungsbefugt, und die Sache an das Landgericht zur Entscheidung in der Sache zurückverwiesen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision.
Zusammenfassung der Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel hat im Wesentlichen keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, die im Insolvenzplan enthaltene Bestimmung, „§ 259 Abs. 3 InsO findet Anwendung“, habe dem Kläger die Befugnis verleihen sollen, einen im Zeitpunkt der Aufhebung des Insolvenzverfahrens anhängigen Rechtsstreit über eine Insolvenzanfechtung fortzuführen. Als privatrechtlicher Vertrag eigener Art sei der Insolvenzplan in zumindest entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB auszulegen. Die Klausel „§ 259 Abs. 3 InsO findet Anwendung“ ist so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte. Wenngleich es wünschenswert wäre, dass alle Regelungen im gestaltenden Teil eines Insolvenzplans klar, ohne weiteres verständlich und deshalb nicht auslegungsbedürftig abgefasst werden, kann daraus kein Auslegungsverbot hergeleitet werden, falls es im Einzelfall an dieser Klarheit fehlt. Unter solchen Umständen sind selbst generelle und abstrakte Anordnungen mit Normcharakter auszulegen, sofern sie überhaupt auslegungsfähig sind.
Art und Umfang der Auslegung haben sich dabei nach dem Wesen des Insolvenzplans zu richten. Der Insolvenzplan sei ein spezifisch insolvenzrechtliches Instrument, welches nicht als Vergleich angesehen werden könne. Zur Auslegung seiner Bestimmung finden jedoch die §§ 133, 157 BGB Anwendung.
Dabei verstößt die Auslegung der Klausel durch das Berufungsgerichts – so der Bundesgerichtshof – nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, für welchen der Empfängerhorizont maßgeblich ist. Eine Bestimmung in dem gestaltenden Teil des Insolvenzplans darf als Ermächtigung des Insolvenzverwalters zur Fortführung von Anfechtungsprozessen über die Beendigung seines Amts hinaus nur dann angesehen werden, wenn sie nach dem ungekünstelten Verständnis derjenigen, an die sich die Erklärung richtet – das sind die den Insolvenzplan beschließenden Gläubiger und allenfalls noch der Schuldner, der dem Insolvenzplan widersprechen kann (§ 247 Abs. 1 InsO), in diesem Sinne aufgefasst werden kann.
Wenn es in dem gestaltenden Teil eines Insolvenzplans heißt, „§ 259 Abs. 3 InsO findet Anwendung“, ist es den Personen, die über die Annahme des Plans zu entscheiden haben und nicht wissen, was in der genannten Gesetzesbestimmung steht, zuzumuten, diese nachzulesen. Die Betroffenen hatten ausreichend Gelegenheit, sich mit der Regelung des § 259 Abs. 3 InsO vertraut zu machen.
Durch eine lediglich abstrakt gefasste Ermächtigung an den Insolvenzverwalter zur Fortführung von Anfechtungsprozessen werden auch keine anderweitigen, schützenswerten Interessen der an einem Insolvenzplan Beteiligten verletzt.
Kommentar
Die Entscheidung ist zu begrüßen. Sie hat grundsätzliche Bedeutung für alle Regelungen in Insolvenzplänen, welche abstrakt auf Regelungen der §§ 217 bis 269 InsO verweisen. Diese sind dem Grunde nach zulässig. Dies gilt im konkreten Fall für den Passus „§ 259 Abs. 3 InsO findet Anwendung“, welche dem Insolvenzverwalter die Befugnis verleiht, auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Beendigung des Amtes (!) einen Insolvenzanfechtungsstreit gerichtlich fortzuführen. Dies wird (bislang) nicht nur – wie die beiden instanzgerichtlichen Entscheidungen des vorliegenden Verfahrens zeigen – in der Rechtsprechung sondern auch in der Literatur uneinheitlich beurteilt (dem ablehnenden LG Erfurt stimmen zu MünchKomm-InsO/Huber, § 259 Rn. 21 und Breutigam in Breutigam/Blersch/Goetsch, InsO § 259 Rn. 11; demgegenüber folgen dem Berufungsgericht Braun, InsO 2. Aufl. § 259 Rn. 7; ders. in Nerlich/Römermann, InsO Stand März 2005 § 259 Rn. 7; Michels EWiR 2002, 293; kritisch zum Urteil des LG Erfurt auch Neußner EWiR 2001, 1067; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch der Insolvenzordnung 3. Aufl. S. 1025).
Der Sache hat der BGH in der Tat die besseren Argumente, welche für die Zulässigkeit der abstrakten Verweisungen sprechen, auf seiner Seite. Die Vorschrift des § 259 Abs. 3 Satz 1 InsO erfordert nach Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck keine Regelung im Insolvenzplan, welche die Befugnis des Insolvenzverwalters zur Fortsetzung von Anfechtungsprozessen näher beschreibt. Nach früherem Recht erledigte sich ein von dem Konkursverwalter eingeleiteter, aber noch nicht rechtskräftig abgeschlossener Anfechtungsprozess (§§ 29 ff KO) mit der Aufhebung des Konkursverfahrens nach rechtskräftiger Bestätigung des Zwangsvergleichs (Kuhn/Uhlenbruck, KO 11. Aufl. § 192 Rn. 3; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze 17. Aufl. § 192 Anm. 2). Diese Rechtslage hat der Gesetzgeber der Insolvenzordnung als unbefriedigend empfunden, weil sie einen Anreiz für den Anfechtungsgegner schaffe, den Prozess zu verschleppen (Amtl. Begründung zu § 306 RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443 S. 214). Deshalb wurde mit § 259 Abs. 3 InsO die Möglichkeit geschaffen, im Insolvenzplan für den Insolvenzverwalter das Fortbestehen der Prozessführungsbefugnis vorzusehen. Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens begründet somit grundsätzlich kein rechtlich geschütztes Vertrauen darauf, den anfechtbar erworbenen Gegenstand endgültig behalten zu können.
Nicht ganz zu überzeugen vermögen dabei die Ausführungen zur Rechtsnatur des Insolvenzplans. Der BGH lehnt zunächst mit ausführlicher Begründung die sog. Vergleichstheorie ab und dann jedoch – nicht ganz plausibel – um dann festzustellen, dass Insolvenzpläne ebenso wie Vergleich nach den §§ 133, 157 BGB auszulegen seien.
Im Schrifttum wird dieser entweder als Vergleich im Sinne des § 779 BGB (Breutigam in Breutigam/Blersch/Goetsch, § 254 Rn. 13) oder als privatrechtlicher Vertrag eigener Art angesehen (Kübler/Prütting/Otte, InsO § 217 Rn. 65; wohl auch Uhlenbruck/Lüer, InsO 12. Aufl. § 254 Rn. 1: „rechtsgeschäftlicher Gesamtakt“, und Braun, aaO vor § 217 Rn. 1: „mehrseitige Verwertungsvereinbarung der Gläubiger“), oder es wird ihm eine Doppelnatur als gemischt materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher Vertrag beigemessen (so MünchKomm-InsO/Eidenmüller, § 217 Rn. 33 f). In jedem Falle seien die §§ 133, 157 BGB anwendbar (MünchKomm-InsO/Eidenmüller aaO Rn. 47; Uhlenbruck/Lüer, aaO § 254 Rn. 11; Breutigam in Breutigam/Blersch/Goetsch, § 254 Rn. 13). Höchstrichterliche Rechtsprechung lag bislang dazu noch nicht vor.
Nach dieser Entscheidung ist der Insolvenzplan nunmehr „ein spezifisch insolvenzrechtliches Instrument, mit dem die Gläubigergesamtheit ihre Befriedigung aus dem Schuldnervermögen organisiert“. Das sei nach der nicht überzeugenden Auffassung des Senats demnach kein Vergleich, weil die Gläubigergemeinschaft nicht aus freiem Willen zusammengefunden habe. Vielmehr ist die Gläubigergemeinschaft eine durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners zusammengefügte Schicksalsgemeinschaft, die keine Verträge im herkömmlichen Sinne schließen können.
Dagegen spricht jedoch, dass der Insolvenzplan nach den Gesetzesunterlagen „die privatautonome, den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Übereinkunft der mitspracheberechtigten Beteiligten über die Verwertung des haftenden Schuldnervermögens unter voller Garantie des Werts der Beteiligtenrechte“ ist (Allgem. Begründung zum RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443 S. 91).
Dr. Kristof Biehl
Rechtsanwalt
Gregor-Mendel-Str. 4
14469 Potsdam
Telefon +49 331 200565-70
Telefax +49 331 200565-75